Landtagspräsidentin Ilse Aigner auf dem Balkon des Maximilianeums. © Achim Frank Schmidt
Sport als Ausgleich: beim Radfahren 1990.
Beim Spielen als kleines Mädchen. © privat (2)
Reisetagebuch: Erinnerungen an einen Urlaub in Großbritannien. © Achim Frank Schmidt
München – Stehenbleiben ist Ilse Aigners Sache nicht. Geht sie wandern, kommen die anderen kaum hinterher – wie jedes Jahr bei der Almbegehung mit Bauernverband und Fotografen. Radelt sie, wird sie Vize-Meisterin, schwimmt sie, durchquert sie gleich den Starnberger See, taucht sie, dürfen es gern mal die Riffe vor Ägypten sein. In der bayerischen Landtagspräsidentin, die man meist im klassischen blauen Kostüm und gemäßigt hohen Pumps sieht, steckt ein echtes Kraftpaket. Natürlich, sagen die meisten ihrer politischen Wegbegleiter und auch Gegner, das ist bekannt. Doch woher nimmt sie die Kraft für diese Höchstleistungen, die keiner außer sie selbst von sich abverlangt?
Da geht Aigner weit zurück: Im Gespräch mit unserer Zeitung erzählt sie, wie sie als Teenager eine schwere Tumorerkrankung und -Operation überstanden hat – und sie danach keine Angst mehr hatte, ihren Weg zu gehen.
Mit ihren Schwestern, einmal mit Margit, einmal mit Doris, brach sie auf, die Welt zu erkunden. Mit dem Rucksack reisten sie durch die Türkei. „Es war früher nicht selbstverständlich, dass junge Frauen so einen Roadtrip unternommen haben“, sagt die heute 59-Jährige. Damals war die Türkei auch noch nicht von Millionen Pauschaltouristen geflutet. „Wir hatten den Strand an der azurblauen Ölüdeniz-Lagune fast für uns alleine“, erinnert sie sich. Heute stehe dort eine überteuerte Sonnenliege neben der anderen. „Ich bin froh, dass wir die ursprüngliche Natur noch erleben konnten.“ Und die Gastfreundschaft: „Die Menschen beschenkten uns damals mit Wasser, Weintrauben und Pita-Brot.“
Damals war Ilse Aigner gerade mal 18 Jahre jung – und hatte gerade einen schweren Eingriff hinter sich. Die Ärzte entdeckten, nach einer zweijährigen, schmerzhaften Leidensphase, einen Tumor im Rückenmark. Kurz vor ihrem 18. Geburtstag wurde Ilse operiert. Ein riskanter Eingriff, „ich hätte gelähmt sein können“. Es ging gut und veränderte doch das Leben der jungen Frau. „Ich bin durch diese Erfahrung gelassener und dankbarer geworden.“ Und sie wollte raus, die Welt entdecken. „Dieses Gefühl von Freiheit war einfach unbeschreiblich“, erinnert sie sich.
Und weil sie neugierig auf die Welt da draußen war, brach sie 1984 mit 19 Jahren noch einmal zu einer abenteuerlichen Sommer-Reise auf. Mit ihrer vier Jahre älteren Schwester Doris fuhr sie mit einem geliehenen VW-Bulli durch Großbritannien, steuerte den Bus mutig durch den Londoner Linksverkehr, wanderte an der spektakulären Felsküste entlang und blieb einfach dort, wo es beiden gefiel. „Wir haben uns einfach treiben lassen. Und wir waren überall sicher“, weiß Aigner.
Das Gefühl des Sich-treiben-Lassens kennt Aigner noch heute – aber nur aus den wenigen Urlaubsmomenten, wo sie ihr Handy im Hotelzimmer liegen lässt. Sonst war und ist Aigner ehrgeizig und zielstrebig. Schon als Jugendliche kletterte sie aufs Dach, um die Antenne zu reparieren. Sie, die jüngste der vier Schwestern, wollte eigentlich den elterlichen Elektro-Handwerksbetrieb übernehmen. Dass das ein typischer Männerberuf war, scherte die junge Frau nicht. Sie brachte es mit Fleiß und Geschick weit: Erst machte sie ihre Gesellenprüfung zur Radio- und Fernsehtechnikerin, bildete sich weiter zur Elektrotechnikerin, wechselte dann aber zu Eurocopter in die Hubschrauber-Entwicklung.
Doch erst mit der Politik kam sie wirklich hoch hinaus, als Bundesministerin, stellvertretende Ministerpräsidentin, als Staatsministerin für Wirtschaft, als Bau- und Verkehrsministerin und seit 2018 als Präsidentin des Landtags. Vielleicht liebt sie es deshalb so sehr abzutauchen. Gern vor Mallorca, vor Bali, den Malediven oder in Ägypten. Ihr Ex-Freund hatte sie damals zum Tauchen gebracht, den Schein machte sie im trüben, kalten Pullinger Weiher. Und, typisch Ilse Aigner, sie macht das mit vollem Einsatz. „Je tiefer man unten ist, desto langsamer darf man wieder hochkommen.“
Und wo geht‘s heuer hin? Mit einem VW-Bulli fährt die Landtagspräsidentin nicht mehr in den Urlaub. Ein bisserl gediegener mag Ilse Aigner es jetzt schon.
Deshalb fährt die 59-jährige CSU-Politikerin in diesen Tagen nach Südtirol, in die Nähe von Bozen. Auf ihrem Programm steht: „Bergsteigen, Radlfahren, Schwimmen, Schafkopfen und Sandeln.“ Sandeln – das ist bairisch für nix tun.
ANGELIKA OTTO