Im Sprachkurs hat Sibylle König aus Holzkirchen viele Ukrainer kennengelernt. Die meisten sind Frauen. © THOMAS PLETTENBERG
München – Die Anrufe sind nicht weniger geworden. An manchen Tagen sind es 80, an manchen 110. Manchmal sprechen die Anrufer bereits gut Deutsch, manchmal noch kein Wort. Seit zweieinhalb Jahren helfen Willi Mück und sein Team ukrainischen Kriegsflüchtlingen aus ganz Bayern über eine Hotline. Diese Hilfe werde nach wie vor sehr gebraucht, sagt der Geschäftsführer der freien Wohlfahrtspflege. „Aber die Probleme sind komplexer geworden.“ Besonders, wenn die Menschen schon länger in Bayern leben.
Die Ukrainer, die erst vor Kurzem aus ihrer Heimat geflüchtet sind, brauchen meist Dolmetscher oder Hilfe bei der ersten Orientierung. Erst später kommen die großen Probleme: Wohnungssuche, Arbeitssuche, komplizierte Anerkennungsverfahren, um im erlernten Beruf in Deutschland wieder Fuß fassen zu können. Und wenn das klappt: Betreuungsprobleme. Denn die meisten Geflüchteten sind Frauen, die allein mit ihren Kindern gekommen sind.
Das alles sind Probleme, die die Helfer der Ukraine-Hotline natürlich nicht lösen können. „Wir können nur Brücken bauen, Ansprechpartner vermitteln und dolmetschen“, sagt er. Das machen sie sieben Tage die Woche, zwölf Stunden am Tag. Und es sieht nicht so aus, als ob ihre Unterstützung bald weniger gebraucht würde.
Auch zweieinhalb Jahre nach Kriegsbeginn haben viele Ukrainer Probleme mit ihrem Neustart in Deutschland. Bundesweit haben nur rund 20 Prozent eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung gefunden, in Bayern liegt die Quote bei 33,3 Prozent. 722 000 Ukrainer beziehen Bürgergeld. Es sei ein Fehler der Bundesregierung gewesen, die ukrainischen Flüchtlinge im Sommer 2022 vom Asylbewerberleistungsgesetz in die Sozialgesetzgebung zu holen, betont Bayerns Sozialministerin Ulrike Scharf (CSU). „Für viele ist es leichter, Bürgergeld zu beziehen, als zu arbeiten.“ In Ländern wie Dänemark, Tschechien oder Polen liege der Anteil der Ukrainer in Beschäftigung bei 60 bis 70 Prozent.
Auch Sibylle König sieht es kritisch, dass alle Ukrainer nach ihrer Ankunft in Deutschland unbefristet Bürgergeld bekommen. Sie betreut seit zweieinhalb Jahren ukrainische Flüchtlinge in Holzkirchen (Kreis Miesbach) und leitet verschiedene Projekte der evangelischen Kirchengemeinde. „Sinnvoller wäre es, das Bürgergeld zeitlich zu befristen und an Integrationsbemühungen zu knüpfen“, sagt sie. Der Wille, hier anzukommen, sei allerdings bei den meisten Geflüchteten sehr groß, berichtet sie. „Dass viele noch keine Arbeit gefunden haben, hängt auch damit zusammen, dass sie noch nicht gut genug Deutsch sprechen.“ Die meisten hätten sprachlich ein B1-Niveau erreicht. „Um wieder in ihren ursprünglichen Berufen arbeiten zu können, müssten sie noch eine Stufe weiterkommen. Die Jobcenter sind mit den Kursen aber sehr restriktiv.“ Für sie ist das schwer nachvollziehbar. Denn viele Ukrainer hätten Berufe gelernt, in denen hier dringend Leute gebraucht werden. „Das reicht vom Handwerker bis hin zur Pflegekraft.“ Die Sprache sei aber nur ein Problem: Viele Mütter könnten aktuell nur im Mini-Job-Bereich arbeiten, weil sie ihre Kinder betreuen müssen, sagt König. „Bei uns in Holzkirchen haben zwar alle Kinder im Kindergartenalter einen Platz bekommen, im Krippen-Bereich aber nur die Hälfte – und das auch nicht ganztags.“
Dasselbe berichtet Kerstin Täubner-Benicke, die das Helfer-Netzwerk in Starnberg koordiniert. „Viele Arbeitgeber erwarten Deutschkenntnisse auf C1-Niveau.“ Das heißt flüssig bis verhandlungssichere Sprachkenntnisse. „Die meisten Ukrainer arbeiten aktuell weiter unter ihrer Qualifikation. Aber sie machen es trotzdem.“
Gerade bei qualifizierten Tätigkeiten sei die Sprache eine wichtige Voraussetzung, sagt auch eine Sprecherin der Agentur für Arbeit in Nürnberg. „Oft bräuchten Ukrainer noch gesonderte Sprachkurse mit Fachausdrücken, um hier wieder in ihren ursprünglichen Berufen arbeiten zu können.“ Auch die Anerkennung von Abschlüssen sei kompliziert. Die Lehrer-Ausbildung in der Ukraine zum Beispiel werde in Deutschland nicht eins zu eins anerkannt.
„Die meisten wollen arbeiten“, betont Täubner-Benicke. Allein schon deshalb, weil sie nicht damit rechnen, so schnell in ihre Heimat zurückkehren zu können. Aber sie haben inzwischen auch gemerkt, dass der Neustart in Deutschland schwerer ist als gedacht. „Viele Familien brauchen ihre Gästezimmer zurück, es gibt kaum noch private Unterbringungsmöglichkeiten für Ukrainer. Und auf dem Wohnungsmarkt haben sie eigentlich keine Chance.“ Nicht einmal mit Unterstützung der Ehrenamtlichen. Täubner-Benicke sagt: „Es ist schwerer geworden, den Ukrainern zu helfen.“