Unbeliebter Mitesser: Nicht nur Eis lockt Wespen an. Bei süßen Sachen ist Vorsicht geboten. © IMAGO
München – Für ein Ehepaar aus der Oberpfalz ist die Traumwanderung im Zillertal zum Albtraum geworden. Auf dem Kreuzweg von Mayrhofen zum Steinkogel machten die beiden vergangenen Sonntag Rast. Die 66-jährige Wanderin setzte sich auf einen Stein, als sie plötzlich ein Schwarm Wespen attackierte. 15 Mal wurde die Allergikerin gestochen. Ein so aggressiver Schwarm ist ein Einzelfall, aber auch in Oberbayern rücken die Rettungskräfte derzeit vermehrt wegen Wespen aus.
Am Walchensee ist vor einer Woche ein 35-jähriger Sachse von einer Wespe in den Rachen gestochen worden. Er musste nach einer allergischen Reaktion ins Krankenhaus geflogen werden. Ein paar Tage zuvor war in Aßling im Kreis Ebersberg ein Zimmerer von Wespen angegriffen und mehrfach gestochen worden. Der 53-Jährige musste wegen eines schweren Allergieschocks auf dem Dach reanimiert werden.
Am Schliersee im Kreis Miesbach war die Wasserwacht alleine vergangenes Wochenende wegen 15 Wespenstichen im Einsatz. 120 Anrufe sind im Landratsamt Garmisch-Partenkirchen heuer schon bei der Wespen- und Hornissenstelle eingegangen. Zum Vergleich: Im gesamten Vorjahr waren es 40. Auch beim BRK dort spürt man, dass Wespen-Zeit ist. 70 Notfälle gab es deswegen schon. Also behandelten die Ärzte in der Unfallklinik Murnau heuer auch mehr Patienten mit Wespenstichen als in den vergangenen Jahren. „Einige sind im Hals- und Zungenbereich gestochen worden“, sagt Anja Schaumann, Oberärztin am Klinikum Garmisch-Partenkirchen. Als Internistin und Allergologin ist Schaumann auch in der Murnauer Notaufnahme im Einsatz.
Für die allermeisten Menschen ist ein Wespenstich zwar schmerzhaft, aus medizinischer Sicht aber harmlos. „An der Stelle, an der die Wespe die Haut durchstochen und ihr Gift hinterlassen hat, können Schwellungen, Rötungen und Juckreiz auftreten“, erklärt Schaumann. Kühlen, den betroffenen Arm oder Fuß hochlegen und eine kortisonhaltige Salbe helfen.
Viele Menschen reagieren „übersteigert“ auf Wespenstiche – sind deshalb aber noch keine Allergiker. „Bei ihnen bildet sich eine Schwellung von über zehn Zentimetern Durchmesser und die Beschwerden halten sich länger als 24 Stunden.“ Bei Allergikern äußern sich die ersten Symptome bereits nach fünf bis zehn Minuten, nach etwa einer Stunde ist ihr Höhepunkt überschritten. Sorgen sollte man sich aber machen, wenn der ganze Körper auf den Stich reagiert.
„Eine Allergie kann sich in vier verschiedenen Stufen äußern“, erklärt Schaumann. „Stufe 1 zeigt sich durch Symptome wie Ausschlag, sogar erhabene rote Flecken am ganzen Körper, Augenjucken oder eine dichte Nase.“ Ab Reaktionen der Stufe 2 sollte ein Notarzt gerufen werden. „Das fängt bei Atemnot, Herzrasen, Schwindel und Blutdruckabfall an und reicht bei Stufe 3 bis hin zu Sprechbeschwerden, schwerer Atemnot oder einem Schock.“ Stufe 4 ist sehr selten, entspräche aber einem Atem- und Kreislaufstillstand.
An einem anaphylaktischen Schock in Folge eines Insektenstiches sterben laut Statistischem Bundesamt etwa 20 Menschen pro Jahr. Die Dunkelziffer könnte höher liegen. Am häufigsten werden allergische Reaktionen durch Wespen (70 Prozent) und Bienen (20 Prozent) ausgelöst. Bei Hornissen- und Hummelstichen kommen sie deutlich seltener vor.
In bestimmten Fällen ist auch für Nicht-Allergiker Vorsicht geboten. „Bei einem Wespenstich in Mund, Zunge oder Rachen droht akute Erstickungsgefahr. Vorsichtshalber sollte man in die Notaufnahme fahren, wo man überwacht und zur Not mit Sauerstoff und Medikamenten versorgt werden kann“, so Schaumann. „Die vulnerable Schleimhaut schwillt leichter an als unsere Haut an Oberschenkel oder Arm. Hinter dem Gaumen sind ja ohnehin nur wenige Millimeter Platz, für Asthmatiker etwa könnte ein Stich dort lebensbedrohlich sein.“
Für Allergiker gilt die Alles-oder-nichts-Regel: Ein Stich kann potenziell so gefährlich sein wie 15. Als die Bergretter am Sonntag bei der Wanderin in Mayrhofen angekommen waren, hatte ihr Mann ihr schon mit einem sogenannten Allergiker-Pen geholfen. Sie kam ins Krankenhaus und überlebte. Die Bergretter sind froh, die Lage hatten sie als „sehr ernst“ eingeschätzt, sie sei durch den allergischen Schock schon „sehr beeinträchtigt“ gewesen.
„Allergiker sollten die Adrenalinspritze sowie Antihistaminika und Cortison in flüssiger Form immer bei sich tragen“, erklärt Schaumann. „Diese Kombination verabreicht auch ein Notarzt.“ Nur: Betroffene müssen wissen, wie sie damit umgehen. Für Laien ist die Präparat-Kombi nämlich nicht ungefährlich. „Sie muss in den Muskel injiziert werden, nicht in eine Ader“, sagt Schaumann. „Vielleicht hat jemand nach einem Wespenstich eine Panikattacke, gar keinen niedrigen Blutdruck. Dann trifft das Stresshormon Adrenalin auf andere Stresshormone, was im schlimmsten Fall Herzrhythmusstörungen auslösen kann.“
Auch ist wichtig, dass die Erwachsenendosis nicht einfach Kindern verabreicht werden kann. Und dass die Pens nur begrenzt haltbar sind und deshalb immer wieder ausgetauscht werden müssen.