Am Ostufer des Königssees passieren immer wieder Unfälle. Ein Steig wurde hier gesperrt. © Meyrl/getty
Die tschechische Turnerin Natalie S. stürzte am Tegelberg ab und starb. © Instagram
Ein Schnappschuss zur Erinnerung: Eine Frau macht ein Selfie am Abgrund im Gebirge. Immer begeben sich Wanderer in Gefahr, um ein spektakuläres Foto zu machen. © Wilhelm Mierendorf/ imago
Schwangau – Vor einigen Tagen hat sich am Tegelberg im Ostallgäu ein tragischer Unfall ereignet. Eine 23-jährige Wanderin stürzte 70 Meter tief und verletzte sich dabei schwer. Die Bergwacht brachte sie per Hubschrauber ins Krankenhaus, nach sechs Tagen aber wurde sie für tot erklärt. Irreversible Hirnschäden. Nun ist klar, dass es sich bei der Bergsteigerin um die tschechische Profi-Turnerin Natalie S. handelt. Und wohl auch, weshalb die Tragödie passiert ist.
S. war mit drei Freunden auf dem anspruchsvollen Klettersteig bei Schwangau unterwegs. Sie alle sahen, wie sie abrutschte. Die tschechische Online-Zeitung Blesk.cz will nun von einem Freund ihrer Familie erfahren haben, dass sie beim Versuch, ein Selfie von sich vor dem weltberühmten Schloss Neuschwanstein zu machen, in den Tod gestürzt sei. Die Polizei ermittelt noch. Ein Blick auf ihren Instagram-Account zeigt aber, dass sie auf ihren Touren immer mal wieder an exponierten Stellen für Fotos posiert hat.
Auf der Jagd nach dem perfekten Foto werden keine Kompromisse gemacht, das fällt auch Rettungskräften zunehmend auf. Ausflügler riskieren nicht nur ihr Leben, sie stellen den unvergesslichen Schnappschuss auch über die Tier- und Pflanzenwelt. Etwa, wenn sie auf Wegen wandern, die zu deren Schutz gesperrt sind, oder wenn sie dort mit Drohnen fliegen, wo seltene Vögel brüten.
Allein in Bayern gibt es eine Reihe an Orten, die eine gewisse Berühmtheit auf Instagram genießen. Neuschwanstein, der Schrecksee im Allgäu, der Eibsee, die Zugspitze oder auch der Königssee sind wohl die bekanntesten Beispiele. Der „Selfie-Tourismus“ zeigt sich aber auch schon an so manchem Münchner Hausberg – etwa an der Brecherspitz am Schliersee. Der markante Grat lockt Ausflügler bereits von weit jenseits des Oberlandes an. Immer wieder gibt es Tote.
„Die Sozialen Medien bringen für uns neue Einsatzszenarien mit sich“, sagt Klaus Burger, Regionalleiter der Bergwacht Chiemgau-Berchtesgaden. „Früher sind wir gerufen worden, weil ein Bergsteiger durch Felssturz schwer verletzt worden ist. Heute rücken wir aus, weil jemand eine Route wandern wollte, die er online gesehen hat, aber vor Ort feststellt, dass er dieser gar nicht gewachsen ist.“ Ein Hotspot für Einsätze dieser Art ist schon lange der stillgelegte Goldtropfsteig am Hochstaufen. Seit der Pandemie rückt die Bergwacht dorthin immer wieder wegen „Blockierten“ aus – zu Wanderern, die sich weder vor noch zurück trauen.
Markus Leitner, Sprecher der Bergwacht Berchtesgaden, kann aber auch von Fällen berichten, in denen Urlauber ganz bewusst die Regeln missachtet haben. „Auf unseren Hinweis, dass Drohnen im Nationalpark verboten sind, hat uns ein Anwalt aus Jena mal dreist gefragt: Wie viel es kosten würde, wenn er weiterfliegen würde. Ein paar hundert Euro wären o.k.“
Die Erfahrungen der Bergretter decken sogar aktuelle Umfragen. Vergangene Woche hat der Digitalverband Bitkom neue Daten veröffentlicht: 62 Prozent der Befragten gaben an, sie hätten im Urlaub schon mal extra ein Ausflugsziel gewählt, um Fotos davon zu veröffentlichen. 26 gaben an, sie würden dafür auch Absperrungen und Verbote ignorieren. 22 Prozent räumten ein, dass sie sich dafür sogar schon mal in Gefahr gebracht hätten.
Die Bergwacht Berchtesgaden setzt auf Prävention. „Vor Kurzem haben wir wieder öffentlich gemacht, weshalb der Goldtropfsteig so gefährlich ist“, sagt Markus Leitner. Einen Weg offiziell zu sperren, also das Betreten per Bußgeld zu ahnden, sei schließlich die allerletzte Lösung. Ein Beispiel dafür gibt es aber schon: An den Königssee-Wasserfällen zogen der Nationalpark und das Landratsamt Berchtesgaden gemeinsam die Reißleine. Seit Juni 2021 ist der Weg dorthin offiziell gesperrt. Ranger patrouillieren – und stellen konsequent Anzeigen aus.
„Das hilft, die letzten Jahre gab es dort wirklich keine Notfälle mehr“, sagt Markus Leitner. Genauso wie die digitale Rangerin, die der Nationalpark beschäftigt. Sie spürt Fotos der Wasserfälle auf Instagram & Co. auf und kontaktiert deren Urheber. „Das ist eine echte Sisyphusarbeit, die sich aber lohnt“, teilt eine Sprecherin mit. „Mit Fotos von den Gumpen am Wasserfall hatte sie heuer keine Arbeit, aktuelle Posts dazu gibt es so gut wie keine mehr. Die Sperrung hat sich herumgesprochen und wird weitgehend respektiert.“
Der Steig zu den Wasserfällen bleibt noch bis mindestens 2026 gesperrt. Offiziell aus Naturschutz-Gründen. Aber vor der Sperre war die Bergwacht oben an den Gumpen an der steilen Felswand viele Male im Einsatz. Immer wieder bargen sie Tote aus den Wasserbecken. Denn die wurden auf Instagram als „Natur-Pools“ angepriesen.