Wie Bayern das Surfen lieben lernte

von Redaktion

Als Student unternahm Arthur Pauli seine ersten Surfversuche, hier in der Alz. © A + E Pauli

Surfer und Ingenieur: Benjamin Di-Qual (links) hat die Flusswellenforen mit initiiert. © Karmann/dpa

Schlangestehen fürs Wellenreiten: die Surfer am Münchner Eisbach. © dpa

Olympia-Surfer Leon Glatzer auf der neuen Surfwelle in Hallbergmoos. © Einfeldt/SZ Photo/pa

München – Grüne Fluten, staunende Zuschauer am Ufer – und die perfekte Welle: Ein Surferparadies, ohne Meer, mitten in der Stadt. Die Eisbachwelle in München lockt Sportler und Schaulustige aus aller Welt – und ist sogar im Surferparadies Australien ein Begriff.

Arthur Pauli brachte das sogenannte River-Surfing vor mehr als einem halben Jahrhundert nach München. Damals war er Student, heute ist er 76 – und erinnert sich noch gut, wie sehr er sich damals nach dem Meer sehnte, wenn er zu Hause in Trostberg das LP-Cover der Beach Boys anschaute. „Surfin‘ USA“ hieß die Platte. Pauli schnappte sich damals einen Campingtisch seiner Eltern und zog los an die Alz, die keine 100 Meter an seinem Elternhaus vorbeifloss. Der erste Versuch floppte – doch der Student gab nicht auf.

1965 baute er aus Sperrholz und Glasfaser-Polyester ein Brett, band ein Seil über einen Fluss, sprang auf das Brett, hielt sich am Seil fest – und surfte. Später war auch das Seil nicht mehr nötig. Arthur Pauli fand immer mehr Surf-Orte in Bayern – und der Sport immer mehr Begeisterte. „Brettlrutschn“ nannten die Pioniere damals ihre neue Sportart. Etwa 1972 stellte sich Pauli an der Floßlände in München auf ein Surfbrett. 1975 wagen sich die Ersten in den Eisbach – illegal. Ab 1975 veranstaltete Pauli in München die Bayerischen Riversurf-Meisterschaften mit Teilnehmern aus der ganzen Welt.

Die ersten Flusssurfer in München waren Pioniere. Von hier, so Experten, habe sich der Sport in Deutschland und Europa ausgebreitet. Vor mehr als zehn Jahren begannen Surfer in anderen deutschen Städten, nach dem Eisbach-Beispiel über die Konstruktion eigener Wellen am heimischen Fluss nachzudenken. „Damals war das ein Traum“, sagt der Surfer und Ingenieur Benjamin Di-Qual. Zahlreiche technische und bürokratische Hürden waren zu nehmen. Bei Flusswellenforen diskutierten Surfer und Ingenieure die Möglichkeiten, erste Pläne nahmen Form an. Inzwischen haben Ingenieure in Augsburg, Nürnberg, Hannover und Pforzheim teils ausgeklügelte künstliche Wellen geschaffen. Andernorts laufen Planungen. Die Wellen gibt es auch in Frankreich, Österreich, Italien, Tschechien und in der Schweiz, außerdem in Kanada und in den USA.

„Wellenreiten ist nach dem Stand-up-Paddeln der am stärksten wachsende Wassersport. Die Szene ist riesengroß“, sagt der Vorsitzende des Gießener Lahnwellen-Vereins und Mitgründer des International River Surfing Network Janne Paul Schmidt. Klimafreundlich, da ohne weite Reise vor der Haustüre möglich, und damit auch auf dem Weg zu einem Breitensport. Die Möglichkeit steigere auch die Lebensqualität in den Städten.

Hawaii und Australien – das war einmal. Surfer Paradise gibt es überall. Zum Beispiel am Ausfluss eines Wasserwerks wie in Innsbruck und umrahmt von Berggipfeln am Ebensee östlich von Salzburg. Oder in Flughafen-Nähe: In München eröffnete dort wie berichtet der laut Betreibern größte künstliche Surfpark Europas. Alle zehn Sekunden kann eine Welle heranrollen wie im Meer. Zwar lässt sich das 180 Meter lange Becken kaum mit weiten Stränden vergleichen. Dafür lässt sich die Welle genau einstellen: Von flach für Anfänger bis zur brechenden Tube für die Könner.

Solche Kunstwellen könnten auch Chancen für den Spitzensport bieten, zum Training und für Wettkämpfe, heißt es vom Deutschen Wellenreitverband. Der Surfsport erlebe einen Aufwärtstrend, sagt Vizepräsident Tom Kronenbürger. Der Verband verzeichnete binnen weniger Jahre einen Mitgliederzuwachs von 45 Prozent. „Das liegt wohl auch daran, dass der Sport inzwischen olympisch ist – aber auch an den Möglichkeiten, innerhalb Deutschlands den Sport zu betreiben.“

Die stehenden Wellen an Flüssen entstehen durch Hindernisse und Höhenunterschiede. Trifft das schießende Oberwasser auf das langsamer fließende Unterwasser oder auf ein Hindernis, kann eine surfbare Welle entstehen. Teils sorgen hydraulische Platten im Wasser für eine Welle. Die kann sogar mancherorts auf unterschiedliches Können eingestellt werden. Not-Aus-Knöpfe ermöglichen teils ein Abschalten der Welle. Die Strömung könnte unter Umständen gefährlich werden. Vereine müssen teils hohe Summen zusammenbringen, um solche Projekte zu realisieren.

Mit geschätzt 3000 bis 5000 aktiven Surfern hat die Stadt die wohl größte Flusssurfer-Szene in Europa. Obwohl München mit drei natürlichen Surfspots an Floßlände und Eisbach bestens ausgestattet ist, warten an schönen Tagen dutzende Sportler schon mal bis zu 20 Minuten auf ihren Sprung aufs Brett – für einen 30-Sekunden-Ritt. Dann will der nächste ran.

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