Hausaufgaben für die Kultusministerin

von Redaktion

Kultusministerin Anna Stolz investiert dieses Jahr 15,8 Milliarden Euro in Bildung – so viel Geld wie noch nie. Sie feiert den Freistaat als „Bildungsland Nummer eins“. Das sehen Erziehungswissenschaftler des Lehrstuhls Schulpädagogik der Uni Augsburg anders. In einem offenen Brief fordern sie eine Zeitenwende.

Ministerin in der Kritik: Die Augsburger Pädagogen stellen Forderungen an Anna Stolz. © IMAGO

München – Am 10. September beginnt in Bayern für rund 500 000 Kinder und Jugendliche das neue Schuljahr. Fast zeitgleich lädt das Kultusministerium traditionell zur Pressekonferenz. „Es ist jedes Jahr dasselbe Ritual“, sagt Thomas Gottfried. „Das Kultusministerium preist seine Erfolge und Anstrengungen.“ Der Theologe und Gymnasiallehrer forscht am Lehrstuhl für Schulpädagogik der Uni Augsburg – und er ist sauer. Die bisherige Ausrichtung der Bildungspolitik? Stellt er grundsätzlich infrage. Die Digitalisierung, die einen Schwerpunkt im Budget des Freistaats darstellt? Hält er für einen „verunglückten Modellversuch“.

Gemeinsam mit dem Universitätsprofessor Klaus Zierer und den Kollegen vom Lehrstuhl für Schulpädagogik hat er einen offenen Brandbrief an die Kultusministerin Anna Stolz (Freie Wähler) verfasst. Zierer kritisiert den „Digitalisierungswahn“ an Schulen schon seit längerer Zeit, im Brief schreibt er von einem „Technologisierungsschub“. Er lenke die Schüler nur ab, mache sie weniger aufnahmefähig und verhinderte, dass die jungen Menschen aktiv auf eigenständige Lösungen kämen. Das Lehrstuhlteam nimmt einen Absturz der Bildungsnation Deutschland wahr, die Abwesenheitstage der Schüler stünden auf Rekordhöhe.

Zierer und Gottfried bescheinigen Bayern eine Bildungskrise. Sie erinnern an „die katastrophalen Ergebnisse von Schulleistungsstudien, die unseren Schülerinnen und Schülern massive Defizite im Wissen und Können bescheinigen“. In der aktuellen PISA-Studie von 2022 hatte Deutschland sein bis jetzt schlechtestes Ergebnis erzielt. Das bayerische Kultusministerium reagierte im Frühjahr mit einer Unterrichtsoffensive – den Grundschulkindern wurden zusätzliche Stunden in Deutsch und Mathematik verordnet.

In den Augen der Augsburger Pädagogen ist dies ein völlig falscher Ansatz. Das Kollegium um Zierer und Gottfried hat einen Forderungskatalog mit elf Punkten aufgestellt, sie wollen Schule neu denken. Den Pädagogen schwebt die weitreichende und nachhaltige Umstrukturierung der Schullandschaft vor, von finanziellen Anreizen für Teilzeitkräfte bis zur Erneuerung der Sanitäranlagen. „Es geht nicht um irgendwelche Forderungen im eigenen Interesse“, betont Gottfried. „Sondern um das Ziel schulischer Bildung, das neu definiert und durch einen Paradigmenwechsel in der praktischen Politik neu angepeilt werden muss.“

Besonders die Beseitigung des Lehrermangels liegt den Pädagogen am Herzen. „Schaffen Sie echte finanzielle Anreize“, heißt es in dem vierseitigen Brief. Zudem sollen Quereinsteiger besser qualifiziert werden, „damit diese nicht schon am Anfang als Lehrer zweiter Klasse gelten“.

Laut Zierer sollen Schüler idealerweise auch individuell gefördert werden – vor allem in den Fächern Deutsch und Fremdsprachen, Mathematik und Naturwissenschaften. „Dies gelingt nicht durch ein Mehr an Unterricht, sondern durch besseren Unterricht.“ Ferner solle der Religionsunterricht und der musische Bereich wieder gestärkt, in Schwimmunterricht investiert, die Lehrpläne verschlankt und die Ressourcen im Feld der Digitalisierung geschont werden.

Wichtig ist den Augsburgern stattdessen Gesundheitsbildung, politische Bildung, soziales Lernen und Wertebildung, zum Beispiel durch das Fach Philosophie. „Bauen Sie die humane Schule aus!“, fordern die Verfasser. Ihr Papier solle ein Weckruf sein, „die Pädagogik vor die Technik zu stellen“. Der Brief soll der Ministerin im „wichtigsten Ressort der Bayerischen Staatsregierung“ heute zugehen.

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