„Eine Katastrophe für unser Land“

von Redaktion

Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde warnt vor der AfD

Die Holocaust-Überlebende Charlotte Knobloch setzt sich seit Jahren für die Demokratie und das jüdische Leben in München und in Bayern ein. © Astrid Schmidhuber

Die rechtsextreme AfD geht als stärkste Partei aus den Landtagswahlen in Thüringen und als zweitstärkste in Sachsen hervor. Das schockiert vor allem auch Menschen, die die Nazi-Zeit in Deutschland noch miterlebt haben. Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch (91), sieht darin eine Abkehr von der bisherigen politischen Kultur der Bundesrepublik. Deutschland drohe ein anderes Land zu werden.

85 Jahre nach Beginn des 2. Weltkriegs gewinnt die AfD, als gesichert rechtsextreme Partei, die Mehrheit in Thüringen. Was war Ihre erste Reaktion, als Sie die Ergebnisse gesehen haben, Frau Knobloch?

Ich empfand es als Katastrophe für unser Land. Das möchte ich ganz klar so benennen. Es ist etwas eingetreten, was wir uns so nie vorgestellt haben, nämlich, dass eine solche Partei Wahlen gewinnt. Man kannte zwar die Umfragen, aber man hatte immer ein wenig Hoffnung, dass es nicht so kommt. Diese Hoffnung hat uns jetzt verlassen. Wir müssen mit einer Partei leben, für die Demokratie kein Wert ist und die auf der extrem rechten Seite Erfolge hat.

Kamen da bei Ihnen Fluchtreflexe auf?

Nein. Deutschland ist mein Land und wird mein Land bleiben – bis an mein Lebensende. Aber wir haben ja auch Kinder, ich meine uns als jüdische Menschen. Mir tun diese jungen Leute leid, denn wir haben sie so erzogen, dass dieses Land wieder eine Heimat für sie ist. Und jetzt wird es für sie vielleicht politisch doch keine Heimat mehr sein.

Was die anderen Nachkommen angeht, ergaben Wahlanalysen, dass die AfD gerade bei Jungwählern zwischen 18 und 25 viel Zuspruch hatte. Wie erklären Sie sich das?

Ich sage seit Jahren, dass wir die politische Bildung verstärken müssen. An dieser Ansicht halte ich fest. Die jüngsten Entwicklungen haben bewiesen, dass viele junge Leute ihr Land nicht kennen und auch nicht kennen wollen, sprich: Sie identifizieren sich nicht positiv damit. Da müssen wir ansetzen, damit wir nicht noch mehr böse Überraschungen wie in Thüringen oder Sachsen erleben müssen.

Das sollte wahrscheinlich in der Schule anfangen?

Das sollte schon im Kindergarten anfangen. Die jungen Leute müssen ihr Land schätzen und lieben. Das kann man ihnen nur zeigen, indem man ihnen unterschiedlichen Unterricht gibt – für die Kleinen Spiele und für die Größeren Informationen, die ihr Land als das Land darstellen, für das sie auch Verantwortung haben.

Eine große Rolle beim Wahlverhalten der Jüngeren haben die sozialen Medien gespielt. Kann man da gegensteuern?

Ja, man könnte sehr viel machen. Die sozialen Medien sind hochgefährlich und werden ausgenützt für Themen, die viele gar nicht richtig verstehen. Bis jetzt habe ich noch nicht gesehen, dass irgendeine Maßnahme dagegen erfolgreich gewesen wäre. Die Freiheit des Wortes wird da sehr großgeschrieben. Dabei müssten die Inhalte viel stärker in den Blick genommen werden, damit die Hetze nicht so stark im Vordergrund steht. Es sollte stattdessen viel mehr um Fakten gehen.

Was kann die Politik da machen?

Sie kann nicht nur, sondern sie muss etwas unternehmen, sonst landen wir in Verhältnissen, die wir uns alle nicht wünschen. Der Rechtsstaat darf online nicht nur zusehen, wie Propaganda verbreitet wird.

Können Sie sich vorstellen, dass die AfD in Bayern Ergebnisse wie in Thüringen und Sachsen erzielt?

Ich kann mir das nicht vorstellen, aber man sollte keine verbindlichen Antworten geben. Hier hat man diese Gruppierungen jedenfalls im Auge. Ich hoffe, dass die bayerischen Politiker weiter alles unternehmen, damit es hierzulande keine Grundlagen für Wahl-Ergebnisse gibt, für die wir uns schämen müssen.

Sehen Sie da konkrete Maßnahmen bayerischer Politiker?

Ich gehe davon aus, dass bereits darüber nachgedacht wird. Kein verantwortungsvoller Politiker kann diese Situation auf sich beruhen lassen, da muss man etwas unternehmen. Die Staatsregierung und die Opposition haben sich dazu ja auch vielfach geäußert, die Richtung stimmt. Dafür sind sie als gewählte Volksvertreter aber auch direkt verantwortlich.

Wären Sie für ein AfD-Verbot?

Ein juristisches Verbot wird wahrscheinlich nicht möglich sein. Nein, die Menschen müssten sich aufraffen und diese Partei einfach nicht wählen.

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