Das Seerichterhaus war um 1900 eine „Kaffeewirtschaft“. Seerichter Wolf Ligsalz hatte das Grundstück 1580 erworben.
Der Wohnbereich: Neben dem historischen Ofen steht heute ein moderner Esstisch.
Zuhause in einem Denkmal: Caroline und Armin Willy sind in das 444 Jahre alte Seerichterhaus in Dießen gezogen. © Ursula Nagl (3)
Dießen – Diese uralte Kastanie hat es Caroline Willy sofort angetan. Sie schlendert mit ihrem Mann Armin durch Dießen. Die beiden Münchner überlegen, hierherzuziehen. Sie haben schon ein Haus im Visier. Aber dann sehen sie diesen wunderschönen Garten mit den Bäumen, die schon viele Generationen überlebt haben. Vor dem großen Haus steht ein Schild. „Zu verkaufen“. Und plötzlich fühlt es sich ein bisschen so an, als hätte das Schicksal die Willys hierhin geführt.
Seit damals sind elf Jahre vergangen – und die Willys haben sich schnell auch in das Haus verliebt. Sie haben es gekauft, renoviert und sind eingezogen. Und sie entdecken noch immer Stück für Stück die Geschichte des Gebäudes. Das Haus stammt aus dem Jahr 1580. In Dießen am Ammersee ist es als Seerichterhaus bekannt. Weil der stattliche Bau einst der Wohn- und Amtssitz des dortigen Seerichters war. Die Ausstattung stammt aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Viel davon mussten die Willys erst mal freilegen. „Als wir das Haus gekauft haben, waren viele Räume sehr düster“, erzählt sie. Die Wände waren mit Raufaser verputzt. „Nichts hat gestimmt.“
Caroline Willy ist Architektin. Eigentlich entwickelt sie Häuser. Das Seerichterhaus haben sie und ihr Mann quasi zurückgebaut. Stundenlang, bis zu völligen Erschöpfung, klopften sie den Putz von den Wänden oder legten die alten Decken frei. Von Monat zu Monat kehrte die robuste Schönheit des Hauses mehr und mehr zurück, erzählt sie. „Das alte Haus hat viele Eigenarten, nichts ist hier perfekt – genau das lieben wir.“
Zum Beispiel das Quietschen der Türen. Inzwischen hat sich Caroline Willy daran gewöhnt. Aber manchmal, wenn sie telefonierend durchs Haus läuft und eine Tür öffnet, kommt von ihrem Gesprächspartner die Frage: „Was war das denn grade für ein Geräusch?“ So ist es eben, wenn man in einem Haus lebt, das seit 444 Jahren steht, sagt die Architektin. „Die Geschichte ist immer gegenwärtig.“
Die Willys haben in den vergangenen elf Jahren viel Zeit mit Staunen verbracht. Zum Beispiel über die alten Türschlösser. Oder die teils 75 Zentimeter dicken Decken im Haus. Sie haben es geschafft, Gegenwart und Vergangenheit im Seerichterhaus verschmelzen zu lassen. So steht neben dem sehr alten Holzofen heute ein runder Esstisch mit modernen, knallroten Stühlen. Ein Flachbildfernseher hängt an der Stein-Wand, die die Willys im Wohnzimmer freigelegt haben. Darunter steht ein modernes Ledersofa.
Alles was sie im Haus gemacht haben, ist in Absprache mit dem Landesamt für Denkmalpflege und dem Landsberger Landratsamt passiert. Schließlich handelt es sich bei dem Seerichterhaus um ein Denkmal. Heute ist die Vergangenheit dort sichtbarer als vor dem Einzug der Willys. Und sie teilen diese besondere Atmosphäre gerne mit Bürgern, die sich für das Haus interessieren. Beim Tag des offenen Denkmals machen die Willys zwar in diesem Jahr nicht mit, aber im Erdgeschoss des Hauses haben sie eine „Galerie Seerichter“ eingerichtet, in der sie zeitgenössische Kunst und Möbeldesignklassiker der Moderne ausstellen. Auf Anfrage vereinbart Caroline Willy einen Termin mit Interessierten. „Das Interesse an dem Haus ist groß“, berichtet sie. Einmal kam eine Reisegruppe von 55 Menschen. Ein Familientreffen, Nachkommen des Seerichters. „Das war auch für uns ein Erlebnis, als plötzlich ein kleiner Bus vorgefahren ist“, erzählt Willy und schmunzelt.
Die beiden finden es schön, dass das Haus wieder ein Treffpunkt geworden ist in Dießen – wenn auch natürlich anders als zur Zeit des einstigen Seerichters. Für ihr Engagement sind sie mit der Denkmalmedaille des Freistaats ausgezeichnet worden. Aber es gebe immer noch viel zu tun, sagt Caroline Willy. Zum Beispiel die alten Holzfenster, die mit Leinöl alle wieder schön hergerichtet werden. Ein Handwerker ist mit an Bord, aber so viel sie können machen Caroline und Armin Willy selbst.
In den elf Jahren hatten sie noch nicht viel Zeit, um im Liegestuhl unter den alten Bäumen im Garten zu sitzen und ihr neues Zuhause richtig zu genießen, erzählen sie. „Aber wir haben während des Arbeitens am Haus viel Zeit gehabt, in den Garten zu blicken und glücklich darüber zu sein, dass wir hier leben dürfen.“