Ewige Erinnerung: Die Gedenktafel in der Friedhofskapelle von Lenggries © Bannier
Hoher Blutzoll: Bei Borodino 1812 lieferten sich Franzosen und Russen eine der fürchterlichsten Schlachten des 19. Jahrhunderts mit bis zu 80 000 Toten. © Archiv
Lenggries – Auf einer hölzernen Gedenktafel in der Friedhofskapelle Maria Hilf von Lenggries im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen wird an die drei Brüder Johann, Nikolaus und Josef Heufelder erinnert, die an Napoleon Bonapartes Russlandfeldzug 1812 teilnehmen mussten und wie die allermeisten der bayerischen Rekruten ihre Heimat nie mehr wiedergesehen haben. Sie entstammten dem „Weißenbauer“, einem bereits seit 1594 bestehenden Bauernhof direkt hinter der Pfarrkirche St. Jakobus.
Das Drama um die drei Brüder, 25, 23 und 22 Jahre jung, ist eine Geschichte um Machtpolitik und Krieg, Verrat und Tod. Sie liegt zum Teil im Dunkeln. Stefan Glonners „Chronik der Hofmark Hohenburg“ von 1867 und das Gemeindebuch von 1984 geben dazu nicht viel her. Aber wie ist es überhaupt dazu gekommen, dass die jungen Brüder aus dem Isarwinkel in diesen furchtbaren Krieg ziehen mussten? Ein Blick in die Geschichte:
Bayern stellte mehr als 30 000 Soldaten
Von Napoleon Bonaparte und den Habsburgern gleichermaßen unter Druck gesetzt, hat sich der Bayerische Herzog Maximilian IV. Joseph 1805 im Geheimvertrag von Bogenhausen auf die Seite des Franzosen geschlagen. Für den Pakt mit Napoleon musste die bayerische Bevölkerung einen furchtbar hohen Preis bezahlen: Napoleon stand 1812 am Höhepunkt seiner Macht, als er sich zu seinem Russlandfeldzug entschloss, der in einer humanitären Katastrophe enden sollte. Bayern musste ihm dafür mehr als 30 000 Soldaten bereitstellen. In offener Feldschlacht wurde Napoleons „Grande Armee“ mit anfangs 590 000 Mann aus 20 europäischen Staaten als unbesiegbar angesehen. Deshalb wandten die Russen eine Taktik der verbrannten Erde an, wichen ständig vor dem Feind zurück und ließen ihn schnell in die unendlichen, äußerst dünn besiedelten und unwegsamen Weiten des Zarenreiches vordringen.
Die Angreifer fanden dadurch kaum noch Nahrung und wurden auch durch Gewaltmärsche, Krankheiten und Desertion stark dezimiert. Sie erreichten das unverteidigte und niedergebrannte Moskau, traten aber angesichts des nahenden Winters am 19. Oktober 1812 den Rückzug an, der in einer wilden Flucht und einem totalen Desaster endete. Die meisten starben an Ruhr und Typhus, Hunger und Temperaturen von minus 30 Grad. 100 000 gerieten in Gefangenschaft. Von den ursprünglich 35 799 Soldaten aus Bayern haben nur 2297 überlebt und ihre Heimat wiedergesehen. Kein anderer Feldzug hatte solch eine entsetzliche Quote. Es ist von daher grundverkehrt, die Konflikte des 18. und 19. Jahrhunderts heute folkloristisch aufzuhübschen.
Bayern hatte 1812 nur gut drei Millionen Einwohner. Das macht deutlich, wie gravierend der Verlust der jungen Männer für das Land gewesen sein muss, die in Napoleons Armee umgekommen sind. Wohl kaum eine andere Familie hat das Schicksal so unbarmherzig getroffen wie die Bauernfamilie aus Lenggries. Erst König Ludwig I. verfügte es 1830, dass alle nicht heimgekehrten bayerischen Soldaten in ihren Heimatorten mit Gedenktafeln und einem jährlichen Seelenamt zu ehren seien. Er war es auch, der 1833 von Leo von Klenze zum Gedenken an die Opfer des Russlandfeldzuges einen 29 Meter hohen Obelisken auf dem Münchner Karolinenplatz errichten ließ.
Die Lenggrieser Gedenktafel nennt nur wenige Details. Über Johanns Verbleib ist nichts Näheres bekannt. Nikolaus ist bei Kämpfen um Polock (Polodzk im Norden von Belarus) gestorben, wo es auch ein Lazarett gab. Für Josef ist „Frankreich 1814“ als Sterbedatum angegeben. Das bedeutet, dass er den Russlandfeldzug überstanden hat. Man kann davon ausgehen, dass er an der Völkerschlacht bei Leipzig teilnahm, wo verbliebene bayerische Soldaten in völliger Unkenntnis über den Schwenk ihres Königs noch an Napoleons Seite kämpften.
Vermutlich ist Josef erst in der Schlacht bei Arcis-sur-Aube 150 Kilometer vor Paris am 20./21. März 1814 auf der Seite der Verbündeten umgekommen. Am 31. März dankte Napoleon ab.
RAINER BANNIER