Gipfelstürmer im Rollstuhl

von Redaktion

Der Escalador schafft sogar die Tour zum Gipfel des Hörnle und durch extremes Gelände. © Be-und-be.org

Der Gelände-Rollstuhl X8 ermöglicht gehbehinderten Menschen Bergtouren. Das Angebot ist sehr gefragt. © UDO LEIST

Garmisch-Partenkirchen – Mit Barrieren beschäftigt sich Stefan Jenuwein schon seit vielen Jahren. Eigentlich eher damit, wie man sie überwinden kann. Doch immer wieder gibt es Momente, in denen er merkt, dass er immer noch unterschätzt, wie sehr Menschen im Rollstuhl häufig ausgegrenzt sind. Der 61-Jährige arbeitet als Klettertherapeut in der Herzogsägmühle in Peiting (Kreis Weilheim-Schongau), außerdem ist er Vorsitzender des Vereins Bewegung und Begegnung. Vor gut vier Jahren hatte er einen Vereinsausflug auf die Tannenhütte bei Garmisch-Partenkirchen organisiert. Die Hütte ist zwar barrierefrei. Aber eine Rollstuhlfahrerin konnte an dem Ausflug nur teilnehmen, wenn sie im Auto zur Hütte gebracht wird. Dort musste sie auf die Gruppe warten. Das machte Jenuwein nachdenklich – und aus Nachdenklichkeit entstehen bei ihm häufig Ideen.

Er begann zu recherchieren und entdeckte den Gelände-Rollstuhl Extreme X8. Er fährt mit einer Geschwindigkeit von bis zu 10 km/h und schafft auch bei Geröll eine Steigung von 30 Prozent. Der Akku reicht für 15 Kilometer. Den Hersteller, die Firma Sunrise Medical, konnte er als Kooperationspartner gewinnen. Gemeinsam boten sie vor vier Jahren in der Region Garmisch-Partenkirchen sechs Wochen lang Ausflüge per Rollstuhl in die Berge an. „Die große Nachfrage hat mich damals sehr überrascht“, erzählt er. Der Rollstuhl war täglich gebucht. Nicht nur von Menschen mit körperlicher Behinderung – auch von Senioren, die den Aufstieg aus eigener Kraft nicht geschafft hätten, sich aber freuten, wieder in die Berge zu können. Die Testphase war ein solcher Erfolg, dass Jenuwein die Idee ausbauen wollte.

Allerdings hatte er unterschätzt, wie schlecht es um die Barrierefreiheit auf den meisten Hütten steht, berichtet er. Er begann erneut zu recherchieren – und fand nicht nur einige Wirte, die mit ihm kreativ wurden, um gehbehinderten Gästen ein Hüttenerlebnis zu ermöglichen. Sondern auch noch zwei weitere geländetaugliche Rollstuhlhersteller. Inzwischen kann sein Verein auch Ausflüge mit dem Escalador anbieten, ein Fahrzeug mit Fahrradlenker und Gasgriff für extremes Gelände und starke Steigungen. „Fahrer benötigen dafür aber ausreichend Rumpfstabilität und funktionierende Arme und Hände“, sagt er. Dann kann der Escalador sie sogar auf Gipfel bringen. Der Verein bietet damit Touren aufs Hörnle an. Und für sehr sportliche Rollstuhlfahrer gibt es außerdem den Manul, ein Offroad-Handbike mit Allrad-Antrieb, er schafft eine Steigung von 40 Prozent. „Mit diesen beiden Fahrzeugen gab es plötzlich ganz neue Möglichkeiten“, sagt Jenuwein.

Gemeinsam mit Martin Jochum, der selbst querschnittgelähmt ist und den Escalador entwickelt hat, testete er neue Touren aus. Immer wieder gab es Projekte, die vom Landratsamt Garmisch-Partenkirchen und und über den Kreisjugendring finanziert wurden, sodass Jenuwein die Rollstuhl-Ausflüge kostenlos anbieten konnte. Nun ist sein Ziel, das Angebot dauerhaft zu etablieren. Dafür müsste er die Rollstühle aber kaufen und eine kleine Leihgebühr von rund 20 Euro verlangen. Mehr soll es nicht sein, er will keine finanziellen Barrieren schaffen, betont er. Um die Rollstuhl-Kosten (insgesamt wären das gute 100 000 Euro) stemmen zu können, hat Jenuwein einen Förderantrag bei der Aktion Mensch gestellt. Sollte er bewilligt werden, könnte er die Hälfte der Summe bekommen. „Die andere Hälfte müssten wir über Spenden finanzieren“, sagt er. Sollte das gelingen, könnte er sich auch vorstellen, sich einen VW-Bus zu mieten, durch Deutschland zu touren und die Idee noch bekannter zu machen – und mehr Kooperationspartner zu finden.

Es sind Momente, die ihn antreiben, für seine Idee nicht lockerzulassen. Diese Momente sammelt er, wenn er gehbehinderte Menschen mit den Rollstühlen in die Berge begleitet. Zum Beispiel einen etwa 50-jährigen Mann. „Er lebt mit einer Körperbehinderung in einem Heim in einem Dorf bei Pfaffenhofen und war extra mit dem Zug angereist“, erzählt Jenuwein. Für den Ausflug musste er viel organisieren, vom Heim bekam er keine Unterstützung. Und dann fiel auch noch der letzte barrierefreie Zug aus, der ihn hätte zurückbringen können. Ohne Jenuweins Hilfe hätte er von einem anderen Bahnhof aus die letzten 20 Kilometer im Rollstuhl zurücklegen müssen. „Das alles war es ihm wert, wieder einmal in die Berge zu kommen.“

Alle Informationen

zum Verein, den Touren und zum Spendenkonto unter https://be-und-be.org. Auf der Seite können auch die Geländerollstühle gebucht werden. Aktuell ist das während der Europäischen Mobilitätswoche in Garmisch-Partenkirchen bis 22. September kostenlos möglich.

Artikel 1 von 11