Die Berge: Sein Leben – und sein Tod

von Redaktion

Nach einer Tour gingen Basti Haag (l.) und Beni Böhm gern auf die Wiesn. © Michael Mayer

Denkmal für die Haag-Brüder auf dem Hirschberg. © mbe

Die Gipfelstürmer: Basti Haag (l.) und Beni Böhm im Gasherbrum-Bergmassiv im Jahr 2006. © Benedikt Böhm

Grünwald – Es sind Gedanken wie diese, die Benedikt Böhm durch den Kopf schießen. „Wie wäre er heute?“, grübelt der 47-Jährige, „Würden unsere Kinder zusammen spielen?“ Hypothetische Überlegungen, denn sein einst bester Freund, Sebastian Haag aus Grünwald im Kreis München, ist seit zehn Jahren tot.

„Beni & Basti“ galten in den Bergen als unzertrennliches Duo, mit Tourenski erklommen sie Gipfel in Rekordzeit, am Tegernsee genau wie im Himalajagebirge. Dort, an der 8013 Meter hohen Shishapangma in Tibet, riss am 24. September 2014 eine Lawine Basti Haag 600 Meter in die Tiefe. Mit ihm, damals 36 Jahre jung, starb auch der Italiener Andrea Zambaldi; der Münchner Martin Maier überlebte den Absturz. Am Gipfelgrat blieben Benedikt Böhm und der Schweizer Ueli Steck (er stürzte 2017 am Nuptse tödlich ab) um Haaresbreite von der Lawinentragödie verschont.

Anlässlich des zehnten Todestags von Basti Haag blickt Benedikt Böhm zurück, von der gemeinsamen Jugendzeit bis zu jenem fürchterlichen Ereignis vor zehn Jahren. „Was wäre, wenn….“ Der 47-Jährige hält kurz inne. „Ich versuche, aus dieser Dauerschleife herauszukommen. Weitgehend habe ich gelernt, damit umzugehen.“ Aber immer gelingt das Benedikt Böhm nicht. „Es ist eine große Narbe“, sagt er. „Die bleibt. Und sie schmerzt immer wieder.“

Kennengelernt haben sich Beni und Basti am Theodolinden-Gymnasium in München, schnell entwickelte sich eine intensive Freundschaft – die beiden verband die Leidenschaft für Wintersport: Die Eltern von Basti Haag, heute noch in Grünwald lebend, sind beide staatlich geprüfte Skilehrer, Beni Böhm aus München-Harlaching betrieb Langlauf als Leistungssport im Skiclub Hochvogel. „Irgendwann haben wir beide Sportarten miteinander kombiniert und kamen so zum Skitourengehen“, erzählte Basti Haag 2006 in einem Interview mit unserer Zeitung. „Mit der Zeit haben wir dann immer krassere Sachen gemacht.“

Die beiden prägten einen neuen Stil im Alpinismus, das Speedbergsteigen. Mit Minimalgepäck stürmten sie die Berge hinauf und fuhren mit Tourenski wieder hinunter. Die Alpspitze bei Garmisch machten sie oft zweimal hintereinander, über 5000 Höhenmeter kamen so zusammen. Training für die großen Berge der Welt, wohin die beiden ihre Philosophie übertrugen. Tagestour statt Hochlagerkette – auch, um den Aufenthalt in der sogenannten Todeszone, oberhalb von 8000 Metern, auf ein Minimum zu verkürzen. Nach Cordillera Blanca in Peru (2004) und Mustagh Ata in China (2005) ging es los mit den Achttausendern: Gasherbrum II in Pakistan (2006), Manaslu in Nepal (2007), Broad Peak in Paskistan (2009), Cho Oyu in Tibet (2012).

Sieben Mal auf den Hirschberg – hintereinander

Und dann kam 2014, das Projekt in Tibet hieß „Expedition Double 8“. Mit Shishapangma und Cho Oyu sollten zwei Himalaja-Achttausender innerhalb von nur sieben Tagen bestiegen und die 170 Kilometer zwischen beiden Bergen per Mountainbike zurückgelegt werden. Ein Rekordversuch mit tödlichem Ende.

„Ohne ihn“, sinniert Benedikt Böhm zehn Jahre später, „hätte ich all das nie geschafft. Ich habe Basti unglaublich viel zu verdanken.“ Umgekehrt war es genauso, der Tierarzt (Basti Haag) und der Manager des Skitourenausrüsters Dynafit (Beni Böhm) hatten sich gesucht und gefunden. „Wir haben uns gegenseitig gefordert und gefördert, uns zu Höhepunkten gepusht, die einer allein nie erreicht hätte“, erzählt Beni Böhm. „Basti pushte mehr in der Abfahrt, ich mehr im Aufstieg. So bildeten wir die perfekte Symbiose.“

Hinterm Tegernsee, auf dem 1670 Meter hohen Hirschberg, erinnert ein Denkmal – zwei Tourenski aus Bronze – an Basti Haag und seinen Bruder Tobias. Denn das ist, vor allem für die Eltern Peter und Sabine Haag aus Grünwald, das besonders Tragische: 2006 war schon der ältere Bruder in Chamonix mit einer Wechte vom Gipfel der Aiguille d’Argentière 800 Meter tief in den Tod gestürzt.

Der Hirschberg war der Trainingsberg der Haag-Brüder. Beni Böhm erinnert sich gut an einen Tag, Basti Haag hatte gerade seine Nachtschicht als Tierarzt beendet und wollte sich danach in den Bergen den Kopf frei pusten. „Er ist sieben Mal hintereinander den Hirschberg raufgestiegen und runtergefahren, neuneinhalb Stunden lang ohne Pause.“ Normale Skibergsteiger benötigen für die 800 Höhenmeter knapp zwei Stunden im Aufstieg – plus Tiefschneeabfahrt.

Diesen Geschwindigkeitsrausch suchte Basti Haag immer wieder. „Er war der nervenstärkste Skifahrer, den ich je erlebt habe“, sagt Beni Böhm. Seine drei Kinder (13, 10 und 7) nimmt der 47-Jährige heute mit auf Skitour. Und fragt sich in solchen Momenten: Was wäre wohl aus Basti Haag geworden? „Er war damals schon sehr reif im Kopf. Wir haben auf unseren vielen Reisen ja über Gott und die Welt gesprochen.“ Böhm überlegt: „Wie wäre Basti heute? Wäre er ruhiger geworden? Ich glaube nicht – denn das verabscheute er am meisten: energielos in der Komfortzone zu verharren.“

Zwei Todesanzeigen erschienen 2014. „Der extreme Alpinismus war sein Leben und sein Tod“, schrieben Haags Eltern. Benedikt Böhm formulierte seine Gefühle so: „Zusammen konnten wir unseren Horizont erweitern. Du wirst mir sehr fehlen.“ Daran, sagt der einst beste Freund, habe sich bis heute nichts geändert: „Es gibt keinen Tag, an dem ich nicht an ihn denke.“

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