Aus diesem Kino flüchtete am 8. August ein Totschläger. Erst nach einigen Minuten fiel das seinen Begleitern auf. © vifogra
Mainkofen – Am 8. August ist das Wetter nicht besonders sommerlich, viele Eltern gehen im niederbayerischen Plattling mit ihren Kindern ins Kino, Nachmittagsvorstellung von „Alles steht Kopf“. Was sie nicht ahnen: Auf den Kinosesseln haben auch drei Patienten des Bezirksklinikums (BKH) Mainkofen/Deggendorf Platz genommen. Einer davon, ein 24-jähriger Somalier, hat 2021 einen Obdachlosen mit 111 Messerstichen getötet und ihn anschließend enthauptet. Der Mann nutzt bei seinem Freigang eine Toilettenpause zur Flucht. Acht Stunden später schnappt ihn die Polizei. Die Menschen in der Region sind entsetzt. Und jetzt kommen weitere Details ans Licht.
Der Bericht der Klinikleitung im Bezirkstag in Landshut legt eklatante Fehler offen. So sei nicht nachvollziehbar, weshalb der Patient bei dem Kinobesuch keinen männlichen Begleiter hatte, sagte der Ärztliche Direktor des BKH, Johannes Hamann. Der Bezirk Niederbayern ist Träger der Einrichtung. Hamann hat die Leitung der forensischen Abteilung übernommen, nachdem Chefarzt Johannes Schwerdtner zunächst bis Jahresende vom Dienst freigestellt worden ist. So wurde jetzt bekannt, dass einer der anderen Straftäter ein Mann mit diagnostizierter Pädophilie ist. Der dritte leidet an einer hirnorganischen Persönlichkeitsstörung. Weshalb der Freigang ausgerechnet in ein Kino – in einen Kinderfilm – führte, sei ebenfalls nicht nachvollziehbar, sagte Hamann. Der Sinn dieser Maßnahme sei fachlich wie organisatorisch nicht klar und zudem die Planung des Freiganges nicht ordnungsgemäß dokumentiert worden.
Drei weibliche psychiatrische Fachkräfte sowie eine Praktikantin begleiteten die drei Männer ins Kino. Es hätte ein Mann dabei sein müssen, der die Patienten gegebenenfalls zum WC hätte begleiten können, so Hamann. „Wir kennen alle die Krimis, wo die Leute beim Toilettengang abhauen, und da war es genauso.“
Weitere Fehler seien nach der Flucht des Mannes passiert, bilanzierte Hamann. Als Mitarbeiter den Vorfall der Polizei meldeten, hätten sie den Flüchtigen „in der Hitze des Gefechts“ und „ohne Rücksprache mit der medizinischen Leitung“ als „akut gefährlich“ eingeschätzt. Diese Einschätzung sei angesichts der Medikation des Patienten falsch gewesen, so Hamann. Zudem habe kein aktuelles Foto des Flüchtigen vorgelegen. Die Reaktion der Polizei sei aufgrund der gemeldeten Gefährlichkeit aber richtig gewesen, nahm der Klinikdirektor die Polizei in Schutz.
Zu den Konsequenzen aus dem Fall gehöre, so Hamann, dass immer eine männliche Begleitperson anwesend sein müsse. Außerdem, dass keine Orte aufgesucht werden dürften, an denen sich üblicherweise überwiegend Kinder aufhalten. Zudem sollen Visiten zukünftig immer von einem Oberarzt geleitet werden. Seitens des Innenministeriums und der Polizei habe es den Wunsch gegeben, dass im Falle einer künftigen Entweichung von den Mitarbeitern „professionell reagiert“ werde. Die Aufarbeitung des Falles und die daraus gezogenen Konsequenzen sollen jedoch künftig derlei Vorfälle verhindern, so der Bezirk. Es sei wichtig, das Sicherheitsgefühl in der Bevölkerung wiederherzustellen.
Der entkommene Patient erhält den Angaben nach zunächst keine Lockerungsmaßnahmen mehr. Doch auch die anderen Patienten im BKH bekommen Konsequenzen zu spüren, wie Mitarbeiter unserer Zeitung berichten. Freigänge sind wesentlicher Bestandteil des Maßregelvollzugs. Nur in der Öffentlichkeit könne die Anpassung an die Lebensverhältnisse in Freiheit erprobt werden, erklärte das Sozialministerium. Resozialisierung ist das oberste Ziel im Maßregelvollzug. Doch in Mainkofen soll der Lockerungsprozess aller Patienten verlangsamt werden, heißt es. Man könne sich nicht vorstellen, was das mit Patienten macht, die seit einem Jahr problemlos gelockert wurden oder kurz vor der Entlassung stehen, wenn sie nun wieder mit Handschellen, Bauchgurt und Fußfessel zu Terminen gehen. Der Bezirk betont hingegen, dass man dem gesetzlichen Auftrag, der auch Lockerungen beinhaltet, vollumfänglich nachkomme.
Für die verantwortliche Psychologin hat das Kino-Desaster weniger Folgen: Sie wurde in eine andere Abteilung in der Forensik versetzt. Laut Bezirk wird sie „von derartigen Entscheidungsprozessen künftig ausgeschlossen“.