Über den Gipfeln: Hermann Buhl beim Aufstieg auf die Chogolisa in Pakistan.
Vater und Tochter: Hermann und Kriemhild Buhl.
Teilten die Bergleidenschaft: Hermann Buhl und seine Frau Generl.
Berg-Pionier: Hermann Buhl als gefeierter Held in Gigit, Pakistan. © Archiv Kriemhild Buhl (4)
Als erster Mensch bezwang Hermann Buhl, der heute vor 100 Jahren in Innsbruck geboren wurde, im Jahr 1953 den „deutschen Schicksalsberg“ Nanga Parbat. Vier Jahre später stürzte er im Himalaya tödlich ab. Im Interview erinnert sich seine Tochter Kriemhild Buhl (73), die in Ramsau im Berchtesgadener Land lebt, an einen liebevollen Vater, dessen Erbe sie bis heute in Ehren hält. Ihre Erinnerungen hat sie auch in einem neu aufgelegten Buch verarbeitet: Mein Vater Hermann Buhl, Plenk Verlag, 19,80 Euro.
Als Ihr Vater 1957 an der über 7000 Meter hohen Chogolisa in den Tod stürzte, waren Sie fünf Jahre alt. Haben Sie persönliche Erinnerungen an ihn?
Ja, ich habe ihn in guter Erinnerung, auch wenn er nach seinem Erfolg am Nanga Parbat viel unterwegs auf Vortragsreisen war und er, wenn er nach Hause kam, als Oberhaupt der Familie angesehen wurde. Da musste man brav sein, manierlich, wie es wohl damals in vielen Familien üblich war. Ich habe eine bestimmte Episode im Kopf: Als meine Mutter 1954 ihr zweites Kind, meine Schwester Sylvia, bekam und im Krankenhaus lag, da war ich mit ihm einige Tage allein. Während ich auf dem Töpfchen saß, um aus den Windeln rauszukommen, spielte mir mein Vater immer mit der Gitarre vor. Es war wunderschön. Das habe ich nicht vergessen.
Verantwortungsloser Bergnarrischer oder heroischer Kletterpionier – wie sehen Sie Ihren Vater?
Er war natürlich ein Held, der vom österreichischen Staat höchste Auszeichnungen bekam, unter anderem als Sportler des Jahres. Sein Konterfei schmückte eine Briefmarke. Er war der Held der Nation, nicht nur der österreichischen, sondern auch der deutschen, denn er hatte ja mit seinem Sieg – so sah man das damals – den Schicksalsberg der Deutschen bezwungen. Er ist dann eine offizielle Person geworden, eine Berühmtheit, die von Vortrag zu Vortrag eilte.
Sie sind ihm nicht böse, dass er das Risiko suchte und die Familie deshalb verließ?
Warum sollte ich? Ich lebe im Einklang mit unserer Familiengeschichte. Mein Vater hat ein immaterielles Erbe hinterlassen, er ist eine Berühmtheit, und das freut mich.
Litt seine Ehefrau, Ihre Mutter, unter dem Ruhm?
Ganz im Gegenteil. Sie hat ihm die Bürokratie vom Hals gehalten, hat seine Vorträge organisiert, ihn oft begleitet. Im Rampenlicht zu stehen, hat ihr besser gefallen als meinem Vater.
Der menschenscheu war.
Richtig. So in der Öffentlichkeit zu stehen, fiel ihm schwer. Er war ein ausgesprochener Individualist, um nicht zu sagen Eigenbrötler, der so schnell es geht wieder in die Berge wollte, möglichst auf eigene Faust und ohne hochorganisierten Tross, wie es der Herrligkoffer immer plante.
Karl Herrligkoffer, der Organisator der erfolgreichen Nanga-Parbat-Expedition.
Herrligkoffer hat seine Expeditionen immer generalstabsmäßig geplant, mit Massen an Trägern. Er wollte unbedingt diesen Berg bezwingen, an dem sein Halbbruder Willy Merkl 1934 bei einem Aufstiegsversuch ums Leben gekommen war. Er führte das Kommando, das hat meinem Vater gar nicht gepasst. Und tatsächlich hat er sich am Schluss dem Befehl Herrligkoffers auch widersetzt, ist die letzten gut 1000 Meter allein und ohne Sauerstoff auf den Nanga Parbat gestiegen. Als er halluzinierend und dehydriert, mit erfrorenen Zehen, wieder Richtung Basislager wankte, was nur mit Unterstützung seiner Freunde Hans Ertl und Walter Frauenberger gelang, hatte Herrligkoffer die Zelte schon abgebrochen. Kein Wunder, dass sie danach zerstritten waren.
Kameramann Hans Ertl drehte einen Film über die Expedition. Er ist nicht frei von NS-Jargon. Der Berg „ist gefallen“, der Nanga Parbat militärisches Okkupationsgebiet, das es zu erobern gilt. Teilte ihr Vater solche Auffassungen?
Ich denke nicht. Natürlich fielen solche Vokabeln, sie sind wohl zeittypisch, aber mein Vater hatte bei den Gebirgsjägern den Krieg als Sanitäter überlebt. Der militärische Kommandoton war ihm zutiefst zuwider, auch die ganze Hierarchie. Er war Individualist. In gewisser Weise Vorgänger von Reinhold Messner, der ja auch im Streit von Herrligkoffer schied. Daher hat mein Vater seine nächste Expedition auch auf eigene Faust geplant, ohne den herrischen Herrligkoffer. Geplant war eine Kletterei im Westalpenstil, ohne Fixseile, ohne riesige Zwischenlager, ohne Materialschlacht, nur zu viert und einige Träger. Leider ist er nach der Erstbesteigung des Broad Peak bei der zweiten Gipfel-Besteigung dann zu Tode gekommen.
Wie ging das Leben für Ihre Familie weiter?
Meine Mutter stand mit drei kleinen Kindern allein da, das muss sehr hart für sie gewesen sein. Es gab ja nicht einmal Kitas. Aber Ihre Eltern unterstützten sie. Als erstes hat sie die Münchner Wohnung gekündigt, sie war ja mittellos, und ist zurück nach Ramsau gezogen. Meine Großmutter hatte dort eine Gäste-Pension, da half sie mit und arbeitete auch im Büro ihres Vaters, der ein Baugeschäft besaß. Später gründete sie selbst eine Pension, das „Haus Hermann Buhl“ in Ramsau war berühmt – jeder wusste, das ist die Ehefrau des legendären Bergsteigers.
War sie selbst auch eine Bergsteigerin?
Oh ja, sie war eine sehr gute Kletterin, bewältigte schwere Touren in den Berchtesgadener Alpen, schon bevor sie meinen Vater kennenlernte. Das hat ihm wohl auch imponiert und die beiden zusammengebracht. Als sie im siebten Monat mit mir schwanger war, sind die beiden noch auf die Marmolata (3343 Meter, höchster Berg der Dolomiten – Anm. d. Red.).
Den Eispickel, den ihr Vater am Gipfel zurückgelassen hat, fanden 1999 japanische Bergsteiger und übergaben ihn Ihrer Mutter. Heute ist er im Messner Mountain-Museum am Kronplatz. Besitzen Sie noch Erinnerungsstücke?
Ja, einen Tropenhelm, den er von der Nanga-Parbat-Expedition mitbrachte, den hab ich noch. Und Hemden.
Hemden?
Ja, Karohemden, sehr gute Qualität. Ich trage sie noch manchmal, sie sind unverwüstlich.