NACHGEFRAGT

„Schlaues Kind? Erst mal freuen“

von Redaktion

Psychologin Nicole von der Linden von der Uni Würzburg.

Mehr als 131 000 Kinder in Bayern haben ihre ersten Schulwochen hinter sich. Einige von ihnen sind besonders schlau und brauchen unter Umständen eine spezielle Förderung. Wie Eltern erkennen können, ob ihr Kind hochbegabt ist, erläutert die promovierte Psychologin Nicole von der Linden von der Begabungspsychologischen Beratungsstelle der Universität Würzburg.

Wie viele Kinder sind hochbegabt und in welchem Alter wird das in der Regel festgestellt?

Wenn man die IQ-Definition hernimmt, also wir einen Intelligenzquotienten über 130 als hochbegabt bezeichnen, betrifft das ungefähr zwei Prozent aller Kinder. In unserer Beratungsstelle sehen wir, dass Kinder auch etwas unterhalb von 130 oft ähnliche Fragestellungen haben. Im Kindergartenalter gibt es Testverfahren, da ist das Ergebnis allerdings noch nicht stabil. Es ist also gerade bei jüngeren Kindern nur eine Momentaufnahme.

Welche Anzeichen gibt es schon im Grundschulalter dafür, dass ein Kind hochbegabt ist?

Es könnte auffallen, dass ein Kind ein gutes Gedächtnis hat, eine gute sprachliche Ausdrucksfähigkeit oder einen sehr großen Wortschatz und Fach- oder Fremdwörter verwendet. Hochbegabte Kinder können gut logisch denken, durchschauen Ursache-Wirkungs-Prinzipien und oft haben sie auch eine große Lernfreude und manchmal ein großes Detailwissen in Bereichen, die für ihr Alter eher ungewöhnlich sind, wie Philosophie oder Politik. Da gibt es viele Dinge, die müssen auch nicht alle zusammen auftreten. Man kann nur im sprachlichen Bereich sehr fit sein oder nur im Umgang mit Zahlen. Oft sind die Schulnoten sehr gut.

Was können oder sollten Eltern machen, die einige dieser Merkmale bei ihren Kindern feststellen?

Ich würde mich erst einmal freuen, wenn ich ein schlaues Kind habe. Ich lade die Eltern immer erst einmal ein zu schauen: Wie geht es ihrem Kind? Wenn sie das Gefühl haben, sie haben sowohl nachmittags zu Hause als auch in der Schule ein glückliches und zufriedenes Kind, das auch gut ausgelastet ist, muss man auf keinen Fall besondere Beratung in Anspruch nehmen, außer man hat vielleicht selbst Fragen. Ein Gespräch mit der Lehrkraft sollten Familien suchen, wenn das Kind in langen Strecken unterfordert ist in der Schule und die Freude am Lernen verliert, sich bei den Hausaufgaben langweilt.

Was, wenn tatsächlich Handlungsbedarf besteht?

Da gibt es einmal Maßnahmen, die Schullaufbahn zu verkürzen, wie eine vorzeitige Einschulung, das Überspringen einer Klasse oder im neuen G9 die individuelle Lernzeitverkürzung, wo man die 11. Klasse überspringt. Dann gibt es Ansätze, die über das übliche Unterrichtsangebot hinausgehen. Dabei können einzelne Inhalte vertieft werden oder besondere Lernmethoden zum Einsatz kommen. Die dritte Säule ist die Separation, also spezielle Hochbegabten- oder Talentklassen.

Welche falschen Vorstellungen gibt‘s zur Hochbegabung?

Da gibt es sehr viele. Es gibt oft eine Annahme von Lehrkräften, manchmal auch von Eltern, dass ein hochbegabtes Kind in allen Bereichen überdurchschnittlich sein muss. Das stimmt aber nicht. Das kann auch nur in einem bestimmten kognitiven Bereich sein, wie im Mathematischen. Motorik, Emotionen, soziale, kreative oder musische Fähigkeiten sind von den kognitiven Fähigkeiten ganz unabhängig. Auch, dass Hochbegabte häufig soziale Probleme und keine Freunde haben, kann die Forschung nicht bestätigen.

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