Der Mann, der einfach alles stemmt

von Redaktion

Sein vierter Weltrekord: Im Nackendrücken stemmte Lay 1994 unfassbare 1650 Kilo.

Seine kleine Folterkammer: Im Keller trainiert Friedrich Lay täglich. © EMANUEL GRONAU

Seine Pokale lagert Friedrich Lay im Keller. Er ist bescheiden geblieben, trotz der Rekorde.

Weilheim – Friedrich Lay spürt, dass er stark ist. Stärker als die meisten in seinem Alter. Aber er kann es nicht beweisen. Er ist ein junger Mann, lebt mit seiner Familie auf einem Hof in einem kleinen Dorf bei Landsberg – und träumt im Stillen von einer Karriere im Gewichtheben. In München gibt es einen Verein für Gewichtheber. Aber es ist 1979 – eine Zeit, in der München für einen jungen Mann aus einem kleinen Dorf unerreichbar weit weg ist. Der kleine Familien-Traktor kann ihn zwar nicht bis in die große Stadt bringen. Aber er hat einen anderen Vorteil, er ist sehr schwer. Und dann kommt der Tag, an dem Friedrich Lay es wissen will. Er versammelt ein paar Zeugen auf dem Hof, macht einige Lockerungsübungen, dann greift er mit dem rechten Arm zu und hebt den Traktor an. „Andere hätten das nicht mal mit zwei Armen geschafft“, sagt er heute, wenn er mit tiefen Lachfalten um den Augen erzählt, wie alles begann. „Und danach ging es erst richtig los.“

Lay will es jetzt wissen. Er möchte noch mehr Zuschauer. Und vor allem möchte er wissen, wie viel Gewicht er heben kann. Im Gasthof gibt es eine Waage für schweres Vieh und außerdem geeichte Traktor-Scheiben. Jede wiegt 45 Kilo. Auf Anhieb schafft Lay sieben. Mit ein bisschen Training sind es zehn, dann zwölf. Unglaubliche 540 Kilogramm, das ist Rekord. Lay reicht das noch nicht. Bei einem Training hebt er 14 Scheiben. Niemand hat es gesehen, niemand glaubt es ihm danach. „Das war auch nicht wichtig, ich wusste ja, dass ich es geschafft habe.“ Erst danach kann er sich neuen Herausforderungen widmen.

Und Herausforderungen hatten in Friedrich Lays Leben fast immer mit Kraft zu tun. Das ist bis heute so. Seine Vormittage verbringt der 70-Jährige im Keller seiner Wohnung in Weilheim. „Meine kleine Folterkammer“, nennt er den winzigen Raum, in dem gerade eine Klimmzugstange, ein Lauftrainer und seine 50-Kilo-Hanteln Platz haben. Und natürlich seine Pokale. Er hätte sie auch im Wohnzimmer aufstellen können. Aber Lay ist trotz all der Weltrekorde, die er in seinem Leben aufgestellt hat, ein bescheidener Mensch geblieben. Nur seine Muskeln kann er nicht verstecken, so sehr er seinen Händedruck auch dezent dosiert. Sein Hemd spannt über den Oberarmen – kein Wunder. Seine Tage beginnen noch immer mit 100 Klimmzügen, 100 Kniebeugen und den beiden 50-Kilo-Kurzhanteln.

Die Pokale in seinem Keller füllen mehrere Regal-Bretter. Er hat einige Wettkämpfe gewonnen. Allein vier Weltrekorde hat er aufgestellt: im einarmigen Reißen mit knapp zwölf Zentnern, im Heben mit zwei Fingern (zehn Zehnter) und mit einem Finger (acht Zentner) und schließlich im Nackendrücken (unglaubliche 33 Zentner – 1650 Kilo). Dafür hat er sich selbst eine Anlage aus Eisen konstruieren lassen, durch die ein Stromkreis läuft. In dem Moment, wenn er mit seinem Nacken den Tisch in die Höhe stemmt und alle vier Beine vom Boden abheben, hupts und eine Lampe blinkt. Ein bisschen Show darf schon sein, selbst bei aller Bescheidenheit eines Friedrich Lay.

Immer wenn er merkte, dass er an einer Leistungsgrenze angekommen war, suchte er sich eine neue Disziplin. Immer ging es damit los, dass er wissen wollte, ob er es schafft. Eine 50-Kilo-Scheibe mit zwei Fingern aufheben? Ging. Mit einem Finger fünf Zentner heben? Ging.

Lay ist kein großer Mann. Früher haben sie ihn wegen seiner 1,72 Magermilchkrippl genannt. Mehr als dieser Spitzname ärgerte ihn, dass man ihm nichts zutraute. Das hatte sich nach der Nummer mit dem Traktor 1979 schnell geändert. Lay trainierte den ganzen Körper. Und er nahm viel Proteine zu sich. „Zu Spitzenzeiten habe ich vier bis fünf Liter Milch am Tag getrunken“, erzählt er. Heute schüttelt der Vater von fünf Töchtern darüber selbst den Kopf. Aber viel Quark und Fisch isst er immer noch – obwohl er längst nur noch zum Ausgleich trainiert.

Denn das mit den Rekorden ist so eine Sache. Am Ende des Lebens bedeuten sie lange nicht so viel, wie man einst dachte. „Mit 70 denkt man anders darüber“, sagt er nachdenklich. Es war eine gute Zeit, als er alles in die Luft stemmte oder riss, was nicht festgenagelt war. „Aber manchmal denke ich, ich hätte etwas mit mehr Sinn tun sollen.“ Diese Gedanken kommen ihm häufig, wenn er junge, muskelbepackte Männer sieht, die ihre gesamte Freizeit in Fitnessstudios verbringen. Wäre er ein paar Jahrzehnte später geboren und München nicht so unerreichbar gewesen, wäre er einer von ihnen, das weiß er. Heute möchte er ihnen zurufen, dass Muskeln nicht alles im Leben sind.

Friedrich Lay war 40, als er die Jagd nach immer neuen Rekorden aufgab. Dann kam die große Leere. „Ich wusste nicht, wohin mit meiner Kraft.“ Er hat viele Sportarten ausprobiert, begann mit dem Bergsteigen. „Aber nichts hat mich erfüllt.“ So entstand irgendwann seine kleine Folterkammer im Keller. „Ohne Sport kann ich nicht leben“, sagt er. Sein Sport gibt ihm Ruhe, aber heute braucht er keine Superlative mehr. „Ich muss keinen Haken mehr hinter die Dinge setzen.“ Und dann kam ja auch noch ein ganz neues Hobby in sein Leben. Seit einigen Jahren spielt Friedrich Lay Steirische. Hat er sich selbst beigebracht. Er braucht dafür weder Kraft noch Publikum. Er spielt einfach nur, weil es ihm Spaß macht.

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