Hausbesuch bei den Schaustellern

von Redaktion

Zwei Familien zeigen ihr Wiesn-Heim auf Rädern

Heidi und Egon Kaiser in ihrem mobilen Wohnzimmer mit Fliesenboden und Möbeln aus Massivholz. © Markus Götzfried

Die Vorfahren von Egon Kaisers Mutter Lisette haben ebenfalls mal in einem Bauwagen aus Holz gelebt. © Privat

Der Bayern-Tower der Kaisers ist 90 Meter hoch. © IMAGO

Schausteller-Nostalgie: Judith und Claus Konrad wohnen während der Wiesn neben ihrem Toboggan wie vor 100 Jahren in einem Bauwagen aus Holz. Claus Konrad ist darin aufgewachsen und hat ihn mühevoll restauriert. © Achim Frank Schmidt

München – Claus Konrad streichelt ein Stück Familiengeschichte. Sein über 100 Jahre alter Wohnwagen gehört zum Toboggan-Turm wie das Bier zum Oktoberfest. „Das Fahrgeschäft gehört meiner Familie seit 1920 und steht seit 1933 auf der Wiesn“, sagt der 56-Jährige. „Mein Papa Rudolf, Baujahr 1925, ist hier drin aufgewachsen und mit seinen Eltern herumgereist, genau wie ich.“ Konrad huscht drei Stufen hinauf in den Wagen. Zwei Achsen, vier Vollgummireifen mit Blattfedern, Wände aus Brettern und unzählige Messingnägel halten ihn zusammen. Vor zehn Jahren hat Konrad das Erbstück saniert. „Jede Niete haben wir erneuert.“ Alles nur im Dienste der Nostalgie.

Konrad, seine Frau Judith und sein Sohn Fabio sind quasi Sonntags-Schausteller. Ihr bunter Toll-Turm, der nicht nur Gäste zur wilden Fahrt; sondern auch viele Schaulustige anlockt, kommt nur noch auf der Wiesn zum Einsatz. Immer dann lebt Konrad, der eigentlich Soldat bei der Bundeswehr in Lechfeld ist, wie ein Schausteller vor 100 Jahren. „Die Tradition hochzuhalten, macht mich stolz“, sagt er. Dass im Wohnwagen Seegang herrscht, merken er und seine Frau gar nicht mehr. „Herrlich, wenn in der Nacht der Regen aufs Dach prasselt“, schwärmen die zwei.

Unterm Jahr schlummert der Wagen in einer Halle neben den Toboggan-Teilen. Eine Holzlasur macht ihn wetterfest. Zwei Wochen vor der Wiesn sattelt Konrad dann zwar keinen Ochsen mehr wie seine Vorfahren, schmeißt aber seinen Hanomag an. Der Oldtimer-Traktor zieht den Anhänger nach München. Vier Stunden dauert die Fahrt von Kinsau im Kreis Landsberg am Lech. „Mich hat mal die Polizei aufgehalten, rein aus Interesse“, erzählt Konrad. Kaufangebote von bis zu 70 000 Euro hat er schon ausgeschlagen. „Ich würde ihn nie hergeben, zu viele Erinnerungen.“

Am Ziel wächst der sechs Meter lange und zweieinhalb Meter breite Wagen noch. „Die drei Meter lange Veranda ist nicht neu. Meine Oma hat dort den Kadetten, also Angestellten, schon Mahlzeiten serviert.“ Heute steht hier ein Kaffeevollautomat. Das bisserl Luxus gönnt sich die Crew. Seit der Sanierung sind auch neue Stromleitungen verlegt, die Wände gedämmt und ein Mini-Bad mit Waschbecken und Toilette eingebaut. „Früher stand ein Potschamperl neben dem Bett“, sagt er und lacht. „Da kannten sich alle gut.“

Nur wenige Meter vom Toboggan entfernt steht der Bayern-Tower. Seinen 90 Meter hohen Kettenflieger nennt Egon Kaiser den höchsten Maibaum der Welt. In dem hypermodernen Fahrgeschäft schwingt die Tradition aber noch immer mit. Immerhin stammt Kaiser aus einer der ältesten Schaustellerfamilien Münchens, ja sogar Europas. „Wir sind in vierter Generation auf der Wiesn, allerdings schon seit mindestens sieben unterwegs“, erzählt er. Seine Vorfahren waren Zirkusleute und seine Oma, eine tüchtige Geschäftsfrau, schaffte es, dass ihre Familie in den 1950erm mit einer Tierschau mit Bären, Affen, Alpakas, Zebras und Kamelen unterhalb der Bavaria gastieren durfte. Mit dem Wechsel in die Schausteller-Branche brachten die Kaisers das Pony-Reiten auf die Wiesn und auch erste moderne Fahrgeschäfte.

Zwölf Meter lang und fünf Meter breit ist der Wohnanhänger von Egon Kaiser und seiner Familie. Auf 60 Quadratmetern wohnt der 51-Jährige mit seiner Frau Heidi und Chihuahua Tiny. Die beiden Töchter des Paars, Alisha (19) und Zoe (15), sind schon ausgezogen. Sie wohnen jeweils in einem eigenen Wohnanhänger nebenan. „Wir sind dieses Wohnen nicht nur gewohnt, es bedeutet für uns auch schon lange keine Abstriche mehr“, sagt Egon Kaiser. „Fernseher, Herd, Wasch- und Spülmaschine – wir genießen hier alle Annehmlichkeiten.“ 100 000 bis 300 000 Euro kostet so ein fahrbarer Luxus.

Familie Kaiser wohnt in Sauerlach im Kreis München, von Ostern bis nach der Wiesn ist sie aber auf Tournee. Mit dem Bayern-Tower und elf Mitarbeitern geht es bis nach Köln, Hamburg und Salzburg. Allein fürs Karussell braucht es zwölf Transporter. Nach Camping sieht es im Zuhause auf drei Achsen also ganz und gar nicht aus. Es gibt Fliesenböden, Möbel aus Massivholz und ein Badezimmer. „Schon meine Großeltern waren keine reinen Landfahrer mehr“, sagt Kaiser. „Sie hatten sich vor 60 Jahren ein Haus in Sauerlach gekauft.“

Tochter Zoe lernt viel online, sie macht die Mittlere Reife an der privaten Neuhof-Schule in Sendling. Dreimal am Tag kocht Heidi Kaiser für ihre Familie, wäscht, putzt und sieht zu, dass im Schatten des Bayern-Towers alles rund läuft. „Im Wohnwagen vermisse ich gar nichts“, sagt die 45-Jährige. Und auf Tournee schlägt auch das Herz von Egon Kaiser höher – und doch freut er sich nun auf das Saisonende. „So ein Wohnwagen könnte aus Gold sein und wäre doch nie wie ein Haus. Hier wohnt man Tür an Tür mit anderen.“ Sein Garten und der Wald in Kleinhartpenning bei Holzkirchen, wo er zur Jagd geht, fehlen.
CORNELIA SCHRAMM

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