Kostproben der alten Sorten bieten Eva Bichler-Öttl und Georg Loferer in ihren Schaugärten. © Florian Öttl
Optisch können sie mit Supermarkt-Äpfeln nicht mithalten. Doch der Geschmack der alten Sorten ist unvergleichlich, findet der Schleißheimer Hofgartenleiter Alexander Bauer. © Gerald Förtsch (3)
München – Wenn Alexander Bauer einen gräulich verschrumpelten Apfel in der Hand hält, geht ihm regelrecht das Herz auf. Weil er genau weiß, was das für ein Genuss ist, reinzubeißen. Obwohl man sich bei dem Anblick schon ein bisschen überwinden muss, räumt er ein. Aber er weiß schließlich, dass er es nicht mit einem hässlichen Exemplar, sondern mit einer sehr alten Sorte zu tun hat.
Bauer ist Hofgartenleiter im Schloss Schleißheim. Dort bauen er und seine knapp 60 Mitarbeiter die uralten Sorten an, die man in keinem Supermarkt mehr bekommt. Sie haben wundervolle Namen wie Gloria Mundi, Berner Rosenapfel oder Schöner als Herrnhut. Einige der historischen Apfel-, Birnen- und Zwetschgensorten stammen sogar noch aus der Zeit des Kurfürsten Max Emanuel im 18. Jahrhundert. Damals hat es eine unglaubliche Obst-Vielfalt gegeben, sagt Bauer. „Aber 90 Prozent der alten Sorten sind bereits unwiederbringlich verloren.“ Er und sein Team tun alles dafür, um die, die es noch gibt, zu erhalten.
Etwa 700 Obstbäume stehen im Schlossgarten. Sie tragen teilweise Früchte, die es deutschlandweit nur noch ein- oder zweimal gibt. Einige sogar weltweit kaum noch. Der Hofgarten ist also so etwas wie eine riesige Schatzkiste – zumindest für Obstliebhaber wie Alexander Bauer. Aber er ist nicht der Einzige, der sich hemmungslos begeistern kann für Rosenapfel und Co. Die alten Sorten werden immer beliebter. „Viele Menschen merken, wie toll und unterschiedlich sie schmecken“, berichtet Bauer. Das beobachtet er nicht nur immer dann, wenn Gäste im Schlossgarten sind und eine Kostprobe bekommen. Sondern auch, wenn das kleine Laderl der Schleißheimer Obstarche öffnet. Am Freitag hat der Obstverkauf wieder begonnen (siehe Kasten). Hin und wieder gab es sogar eine Schlange vor dem Laden. Es rührt Bauer, wenn er sieht, dass Menschen bereit sind, zwei Stunden für die alten Sorten anzustehen.
In der Obstarche im Schleißheimer Schlosspark steckt viel Arbeit. Die Bäume müssen gepflegt werden. Und vor allem müssen sie erst mal wachsen, bis Obst geerntet werden kann. Das kann bis zu zehn Jahre dauern, sagt Bauer. Das Klima ist heute anders als vor 200 Jahren. Auch das ist für die alten Sorten eine Herausforderung, erklärt Bauer. Dieses Jahr war aber ein gutes Obstjahr. „In den Jahren davor haben wir etwa zwei Drittel der Ernte verloren.“
Auch Eva Bichler-Öttl weiß, wie beliebt die alten Obstsorten seit einigen Jahren wieder sind. Immer mehr Menschen möchten wissen, was auf den alten Bäumen in ihren Gärten eigentlich wächst, berichtet sie. Das weiß sie deshalb, weil sie seit 2014 mit dem Projekt „Alte Obstsorten im oberbayerischen Alpenvorland“ beauftragt ist. Das begann vor zehn Jahren mit einem Aufruf. „Alle, die in ihren Gärten Obstbäume haben, die vor 1950 gepflanzt worden waren und herausfinden wollten, um welche Sorten es sich handelt, sollten sich damals melden.“ Seitdem haben Bichler-Öttl und ihre Kollegen einen kleinen Schatz geborgen. Rund 270 alte Sorten werden in ihrem Projekt in Sortenschaugärten in sechs Landkreisen von Berchtesgaden bis Weilheim-Schongau nachgezogen. Zeit, alte Obstbäume in Privatgärten zu sichten, haben Bichler-Öttl und ihr Team schon lange nicht mehr. Denn sie holen nicht nur die alten Sorten zurück – sondern auch das Wissen darum. Alles muss verifiziert und erfasst werden. Bei der Obstsortenbestimmung hilft Privatpersonen aber das Kompetenzzentrum Obstbau Bodensee (kob-bavendorf.de/beratungsservice.de). Und für alle, die mehr über die alten Sorten erfahren und eine Kostprobe bekommen möchten, bieten die Projekt-Mitarbeiter Führungen durch die Schaugärten an (alle Infos unter www.apfel-birne-berge.de). Ein echtes Erlebnis, verspricht Bichler-Öttl. Weil Liebe bekanntlich durch den Magen geht. Außerdem ist die Vielfalt auch optisch spannend. Es gibt alte Birnen-Sorten mit rotem Fruchtfleisch, sehr kleine oder sehr große Früchte. Viel Altes, das gerade neu entdeckt wird.
Dass das viel Spaß machen kann, kann der Schleißheimer Hofgartenleiter Alexander Bauer glaubhaft versichern. Vor etwa 18 Jahren legten er und seine Kollegen ein 200 Jahre altes Birnen-Spalier an der Schlossmauer frei. „30 Jahre war da kein Licht mehr drangekommen“, berichtet er. Sie gaben dem dürren Bestand etwas Zeit – und plötzlich trieben die Birnen wieder aus. „Das war für uns alle ein unglaubliches Glücksgefühl.“