Carl Theodor als Reichsvikar. Ein Ölgemälde von Johann Wilhelm Hofnaas nach Pompeo Batoni, um 1782. © Pustet Verlag
München – Oft verkannt, ungeliebt, ja verspottet und ins Grab gewünscht: Der bayerische Kurfürst Carl Theodor (1724–1799), dessen 300. Geburtstag sich am 10. Dezember jährt, wurde zeitlebens – und wird es noch heute – unterschätzt. „Wenn dieses Geschöpf Carl Theodor krepieren wollte, wäre das ein wahres Glück für Deutschland“, soll der preußische König Friedrich II. geflucht haben. Und auch die Münchner wurden mit dem Spross einer Wittelsbacher Nebenlinie, der durch Erbfolge 1778 in den Besitz Altbayerns gekommen war, nie richtig warm, obwohl er ihnen doch den Englischen Garten schenkte. Auf dem kürzlich veröffentlichten Stammbaum der Wittelsbacher steht Carl Theodor an der Spitze eines verdorrten Zweigs, da er keine legitimen Erben hatte (wohl aber mindestens acht – nicht standesgemäß gezeugte – Kinder).
Nun versucht sich der Sachbuchautor und BR-Dokumentarfilmer Bernhard Graf an einer Ehrenrettung des oft verkannten Wittelsbachers. Er schreibt kenntnisreich und informativ, schießt dabei aber etwas übers Ziel hinaus. Für Graf ist Carl Theodor aufgrund seiner „fortschrittlichen Denkweise“ und seinem Faible für Musik, Kunst, Gärten und die Naturwissenschaft fast ein verkanntes Genie, was halt leider die Münchner Untertanen „infolge ihrer patriotisch engstirnigen Sichtweise“ nicht begriffen hätten. Na ja. Wahr ist, dass der am kurpfälzischen Hof in Mannheim aufgewachsene Adlige, der mit 17 unglücklich heiratete und mit 18 Kurfürst über sechs verstreute Territorien (mit Mannheim als Zentrum) wurde, seinerzeit ein berühmtes Orchester schuf, die Mannheimer Hofkapelle, und eine achtenswerte Hofbibliothek aufbaute. Auch Goethe und Schiller gehörten zu den Bewunderern der Kunstbeflissenheit Carl Theodors. „In Mannheim angelangt, eilte ich mit groeßter Begierde, den Antikensaal zu sehen“, schrieb Goethe über einen Besuch im Kurpfälzischen Schloss, das Carl Theodor im Stil der Zeit gleich mit einem ganzen „Wald von Statuen“ (Goethe) ausgestattet hatte. Schiller erkannte hier „die warme Kunstliebe eines deutschen Souverains“. Über manche ebenfalls zeittypischen Marotten des Kurfürsten sieht Graf demgegenüber gnädig hinweg, etwa über die (bei Bauern wegen der Flurschäden verhasste) ausgeprägte Jagdleidenschaft, die der Autor auf gleich sieben Seiten detailliert, aber sehr unkritisch schildert.
Nach dem Tod des Kurfürsten Max III. Joseph 1774 gelang es Carl Theodor, seinen Besitz zu arrondieren. Mit 1,2 Millionen Einwohnern übertraf Kurbayern, das nun als siebtes Territorium dazukam, seine bisherigen Besitzungen bei Weitem. Nichtsdestotrotz hatte Carl Theodor über den Neuzugang eine denkbar schlechte Meinung. „Im Ganzen ist der Bayer stark von Leib, nervigt und fleischigt.“ Städte wie Landsberg, Wasserburg und Landshut seien „elende Nester“, allenfalls für München konnte sich der Kurfürst erwärmen. Auf die Bestrebungen, den wenig geliebten Landstrich Kurbayern gegen die österreichischen Niederlande zu tauschen, was seinen Ruf nachhaltig beschädigte, geht Graf leider nur am Rande ein. Es kam auch nicht dazu.
Carl Theodor, und das muss man ihm natürlich zugutehalten, fand sich mit den geschmähten Bayern ab. Das hatte auch politische Gründe: Anders als befürchtet drangen Ausläufer der französischen Revolution in München nicht durch – und diejenigen, die wie Freimaurer und Illuminaten einem religionslosen und herrschaftsfreien Staat anhingen, ließ er erbarmungslos verfolgen (Graf schreibt wenig distanziert von „Machenschaften“ der Freimaurer, was dann doch verstört). Carl Theodor hatte zweitens auch das Glück (oder Geschick?), gewiefte Berater zu finden: Benjamin Thompson, der legendäre Graf Rumford, kümmerte sich um die Neuorganisation der Armee, versuchte, das damals sogenannte Bettlerunwesen wenig zimperlich mit der Einrichtung von Arbeitshäusern in den Griff zu bekommen und machte sich um die Armenspeisung verdient („Rumford-Suppe“); Friedrich Ludwig Skell (auch Sckell geschrieben), ein Spezialist für Gartenarchitektur, schuf im Auftrag Carl Theodors seit 1789 den Englischen Garten, der 1792 für die Bevölkerung geöffnet wurde und, wie Graf zu Recht rühmt, „eine Sensation für die europäischen Herrscherhöfe“ war – und noch heute ist. Deshalb war es vielleicht, und da ist Graf Recht zu geben, etwas unfair, dass die Münchner Bevölkerung am 16. Februar 1799 beim Tod des Kurfürsten („hat uns an Österreich verkaufen wollen“) auf den Straßen gejubelt haben soll.
DIRK WALTER
Das neue Buch
„Kurfürst Carl Theodor von Pfalz-Bayern – Musiker, Mäzen und Reformer“, Bernhard Graf, Pustet-Verlag, 288 Seiten, 32 Euro.