NATALIAS NEUANFANG

Aus meinem Traum wird eine Zukunft

von Redaktion

Natalia Aleksieieva mit ihrem Freund Siroscha.

Natalia Aleksieieva ist am 7. März 2022 aus Odessa nach München geflüchtet. Sie hat hier eine Wohnung und einen Job gefunden. In ihrer Kolumne berichtet die 29-Jährige über ihr neues Leben in Bayern und über die Nachrichten aus ihrer ukrainischen Heimat. Ihre Texte schreibt sie auf Deutsch.

Der Krieg dauert nun schon seit zweieinhalb Jahren an. Mein Cousin befindet sich nur noch 15 Kilometer von der Front entfernt. Seine Brigade wird mit neuen Soldaten verstärkt und soll bald wieder in die Kämpfe geschickt werden. Im Haus meiner Eltern wird der Strom nicht täglich und dann auch nur für zwei Stunden abgeschaltet. Die Behörden drohen damit, den Strom im Winter für mehrere Tage auszuschalten. Doch mein Vater bleibt optimistisch: „Wenn es wirklich schlimm wird, reisen wir für eine Weile nach Chisinau“, sagt er immer.

In den letzten Wochen ist viel passiert, das mein Leben in Deutschland noch glücklicher gemacht hat. Ich habe ein neues bayerisch-ukrainisches Restaurant namens „Druzi“ in Pullach besucht. Der Name bedeutet auf Ukrainisch Freunde. Es war erstaunlich, auf der Speisekarte traditionelle ukrainische Gerichte wie Kotleta Kyiw oder Borschtsch neben Käsespätzle und Wiener Schnitzel zu finden. Doch das, was mein Herz besonders berührte, war das Gespräch mit dem Restaurantbesitzer. Zu meiner Überraschung war er kein Ukrainer, sondern ein Deutscher. Thomas Gebauer und seine ukrainische Verlobte leisten nicht nur humanitäre Hilfe für die Ukraine, sondern hatten auch die schöne Vision, die ukrainische und bayerische Kultur an einem Ort zu vereinen. „Wir machen etwas Bayerisch-Ukrainisches, weil wir in Bayern sind, aber gleichzeitig leben hier allein in Pullach 130 Ukrainer“, erzählte er mir. Das Lokal am Stadtrand von München ist mittlerweile so beliebt, dass nicht nur Einheimische, sondern auch Gäste aus Rosenheim und Augsburg kommen. Ich hatte das Vergnügen, dort die äußerst schmackhafte traditionelle ukrainische Küche zu genießen.

Kürzlich erhielt ich einen Anruf von der Servicestelle zur Erschließung ausländischer Qualifikationen. Im November hatte ich ein Online-Formular ausgefüllt, um herauszufinden, wie ich in Deutschland als Lehrerin arbeiten könnte. Natürlich hatte ich diese Anfrage längst vergessen. Doch dann meldete sich eine freundliche Anerkennungsberaterin und sagte: „Sie haben lange gewartet, aber jetzt sind Sie an der Reihe. Ich bin Ihre Ansprechpartnerin und stehe Ihnen bei allen Fragen zu Ihrem beruflichen Weg zur Seite.“ Sie schickte mir eine E-Mail mit detaillierten Informationen über meine beruflichen Möglichkeiten als Lehrerin in Deutschland. Auch telefonisch wurde ich beraten. In der Zwischenzeit habe ich meine erste Schülerin gefunden, der ich nun online Nachhilfe in Deutsch als Fremdsprache gebe.

Das freudigste Ereignis war jedoch, dass mein Freund mir einen Heiratsantrag gemacht hat. Wir sind jetzt verlobt und plötzlich fühlt sich die Zukunft in Deutschland nicht mehr nur wie ein Traum an – sie ist greifbar und voller Hoffnung. Es ist erstaunlich, wie viele Möglichkeiten mir dieses Land gegeben hat. Deutschland hat mir gezeigt, dass es möglich ist, ein neues, glückliches Leben aufzubauen. Man darf nur niemals aufhören, hart zu arbeiten und an sich selbst zu glauben. Und was mich am meisten bewegt: Ich fühle mich in Deutschland so aufgehoben, als hätte ich hier ein zweites Zuhause gefunden.

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