München – Norbert Schäffer hätte Grund zum Feiern, er ist jetzt seit genau zehn Jahren Landesvorsitzender des Landesbunds für Vogel- und Naturschutz (LBV). Doch vor der Landesversammlung am heutigen Samstag in Amberg schlägt der Chef des mit 117 000 Mitgliedern zweitgrößten Umweltverbands (nach dem BN) eher nachdenkliche Töne an. Ukraine, Nahost, Wirtschaftsflaute – diese ganzen Krisen, sagt Schäffer unserer Zeitung, schlagen aufs Gemüt. „2019 hat uns das gewonnene Volksbegehren einen Riesenschwung verschafft. Derzeit aber erhält der Naturschutz viel weniger Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit.“
Dabei hat der LBV eigentlich Grund, selbstbewusst in die Zukunft zu blicken. Einer der Erfolge ist der nach dem Volksbegehren vereinbarte bayerische Streuobstpakt. Bis 2035 sollen eine Million Obstbäume neu gepflanzt werden. Bis jetzt sind es immerhin schon knapp 100 000. „Es läuft gut“, sagt Schäffer, „ist aber kein Selbstläufer.“
Was ihm hingegen Sorgen macht, ist die „Verbierzeltung der Landschaft“. Ob Wolf oder Fischotter – manche Tierarten sind mittlerweile populistischen Attacken ausgesetzt. Gegen das Nützlings-/Schädlings-Denken sei schwer anzukommen. Kürzlich habe ihn ein ehemaliger Europaabgeordneter allen Ernstes gefragt: „Wofür ist denn der Fischotter überhaupt gut?“ Auch mit manchen Äußerungen des bayerischen Wirtschaftsministers hadert Schäffer. Obwohl er kein Scharfmacher ist und laute Töne lieber vermeidet, sagt er: „Auch Hubert Aiwanger muss verstehen, dass Natur nicht nur dann etwas wert ist, wenn man sie schießen oder verheizen kann.“
Die Trendwende beim Artenschutz, so warnt der LBV-Chef, sei noch nicht geschafft, wie zuletzt auch die große Analyse „Faktencheck Artenvielfalt“ aufzeigte. Der sogenannte Vogelindex ist da ein guter Anzeiger für die biologische Vielfalt insgesamt. 1980 lag der Index für die Agrarlandschaft europaweit bei 100, heute ist er auf 39 gesunken. „Das heißt, wir haben über die Hälfte der Vögel in der Agrarlandschaft verloren“, sagt Schäffer. „Die Uferschnepfe ist die nächste Art, die uns ausstirbt“, es gebe nur noch 13 Brutpaare in Bayern, unter anderem an Donau und Altmühl. Hingegen war der Rückgang bei den Vögeln im Wald mit nur acht Prozent viel geringer.
Schäffer folgert daraus, dass man bei der Landwirtschaft ansetzen müsse. „Das A und O ist es, hier Lebensräume zu schaffen.“ Wichtig seien mehr Hecken am Rand von Feldern und bepflanzte Wegränder. Als Aufgaben für die Zukunft bezeichnet es Schäffer, die Produktion von Energiepflanzen wie Raps und Mais zu reduzieren, mehr gegen Lebensmittelverschwendung zu tun und vor allem („der wichtigste Faktor“) den Fleischkonsum zu reduzieren, „und zwar auf die Hälfte“.
Schäffer ist selbst kein Vegetarier, wie er sagt, aber trotzdem sei die Forderung wichtig, weil die Fleischproduktion viel Agrarfläche erfordere. Da sind ihm auch launige Tweets des Döner essenden Ministerpräsidenten („#Söderisst“) ein Graus. Salat wäre wohl besser. „Es würde uns freuen, wenn Söder da vorangeht.“ Geradezu eine Sensation sei angesichts dieser populistischen Trends das jüngste Papier der Deutschen Bischofskonferenz zur ökologischen Landwirtschaft. „Was da drinsteht, ist richtig“, das sage er als Katholik. „Und es ist kein Angriff auf die Landwirtschaft“; es sei aberwitzig, wenn jetzt Landwirte damit drohten, beim nächsten Erntedank keinen Blumenschmuck mehr zu spenden (siehe Artikel unten).
Anders als der größere Bund Naturschutz fällt der LBV seltener mit Klagen auf. Man klage nicht einfach so, um beispielsweise ein Straßenprojekt zu verzögern, bei dem feststehe, dass man es eh nicht verhindern könne. Derzeit läuft nur etwa ein halbes dutzend Klagen gegen verschiedene Vorhaben, unter anderem gegen einen Bike-Park am Kornberg im Fichtelgebirge. „Wir überlegen auch, gegen die geplante Hängebrücke im Landkreis Hof zu klagen“, sagt Schäffer – und wird da doch wieder deutlich. „Das ist doch eine Art Bungee Jumping für Feiglinge.“
DIRK WALTER