INTERVIEW

„Rennradfahren ist die beste Therapie“

von Redaktion

Über Nacht nach Südtirol – Comedian Harry G erklärt seine Sportleidenschaft

„Himmel und Hölle zugleich“ war der Trip auf dem Sattel nach Italien, sagt Rennrad-Junkie Harry G. © privat

Früher hielt der Comedian Harry G Menschen, die mehr als 100 Kilometer mit dem Rennrad fuhren, für „völlig krank“. Heute fährt der Münchner – wenn er mal nicht schlafen kann – schnell nach Südtirol. Über Nacht. Am Stück. Hier spricht Harry, bürgerlich Markus Stoll (45), wie er sich durchs Strampeln Therapiestunden sparte und lernte, Grenzen zu verschieben.

Harry, können Sie sich an Ihr erstes Rad erinnern?

Heini, mein Onkel aus Frankfurt, hat mir – das muss so 1984 gewesen sein – ein tolles silbernes Rennrad geschenkt. An dem waren auch so blöde Schutzbleche dran. Mir war das aber wurst, ich war auf das Ding so stolz wie ein Schnitzel. Mit dem bin ich dann immer von zu Hause in die Schule gefahren. Gefühlt habe ich mich als der junge Eddy Merckx. Das bin ich echt lange gefahren. Bis 1989 oder 1990.

Und dann wurde umgesattelt?

Auf ein neongelbes „Checker Pig“. Das hatte ich jedoch nicht lange, weil es mir im Radkeller in der Schule geklaut wurde. Ich bekam dann ein „Fuji“. Mit dem habe ich Touren gemacht, das kannst du dir gar nicht vorstellen. Endlos lange Strecken waren das. So zehn, 15 Kilometer bestimmt (lacht). Mehr wurden es nach meinem Studium in Innsbruck. Ich fing in München bei einem Investmentfonds zu arbeiten an. Jeden Morgen bin ich von Haidhausen mit meinem Trekkingrad nach Oberhaching gefahren. Viel cooler waren allerdings die Canyon-Räder, die zu der Zeit aufkamen. Also kaufte ich mir auch so eines. Ich hatte das Gefühl, ich fliege mit meinem Canyon-Jet durch den Perlacher Forst.

Und immer in Radlklamotten?

Die Sachen, die ich am Berg trug, habe ich auch auf meinem neuen „Ultimate CF“ angezogen. Darunter habe ich so ein billiges Discounter-Klump gehabt, eine Radlerunterhose. Ich sah aus wie ein durchgeknallter Papagei auf Koks. Ganz schrecklich. War mir aber auch egal. Jeden Abend bin ich nach der Arbeit mit meinem Rennrad Richtung Voralpenland gedonnert. Das war der Zeitpunkt, als ich mich infizierte.

Womit genau?

Mit dem Rennrad-Virus. Seitdem bin ich dem Rennrad verfallen. Ich bin ein klassischer Rennrad-Aficionado, ein echter Rennrad-Junkie. Meine „Drogen“-Zeit dauerte etwa fünf Jahre. Dann habe ich aber alles, was man im Münchener Umkreis so kennen kann, gekannt: Seen, Berge, Biergärten. Einfach alles.

Und das immer alleine?

Immer. Das lag daran, dass ich nicht wusste, wie gut ich wirklich strampeln konnte. Und wenn ich ganz ehrlich bin, habe ich auch nicht ganz verstanden, warum sich alle immer beim Rennradfahren unterhalten haben. Ich dachte: Entweder gehe ich mit Freunden einen trinken – oder ich fahre halt richtig Rad, mit richtig viel Druck auf dem Pedal. Die Corona-Zeit hat dann jedoch mich und mein Sportlerleben verändert.

Inwiefern?

Nach dieser Zeit bin ich viel mehr mit Freunden und in Gruppen gefahren. Und ich habe meinen Radius erhöht, indem ich mit meinem Hybrid-Auto irgendwo hingefahren bin. Das war velotechnisch gesehen mein zweiter Frühling. Plötzlich machte mir das Rennradfahren noch mehr Spaß.

Und heute?

Fahre ich die 130 Kilometer – übertrieben gesagt – ohne Flaschen und ohne Riegel. Alles unter 100 Kilometer nehme ich heute gar nicht mehr ernst. Spaß. Im Ernst: Was können wir denn von dieser Welt am Ende mitnehmen? Ich sage es dir: wahre Liebe und schöne Momente. Die Liebe bekomme ich von meiner tollen Familie, von meiner Frau sowie meinen Kindern. Erfahrungen und Erlebnisse sammle ich auch mit meinen Liebsten – aber auch ganz viele Kilometer auf der Straße. Mir taugt das voll. Und: Jeder, der viel Zeit auf dem Rennrad verbringen, spart Geld.

Radeln ist teuer. Laut einer Studie gibt ein Mittvierziger über 11 000 Euro im Jahr fürs Equipment aus.

Das meine ich gar nicht. Wie ich mich selbst in den vergangenen Jahren noch einmal fast neu kennengelernt habe, das war unfassbar. Die Kosten für die Therapiestunden kann jeder sparen, der viel radelt. Und das meine ich ernsthaft. Ich weiß nun durch Situationen, die ich auf dem Renner erlebt habe, im Alltagsleben besser damit umzugehen. Mehr noch: Ich habe auf dem Rennrad gelernt, meine Grenzen weiter zu verschieben. Am Ende habe ich mich zusammen mit meinem Spezl Olli getraut, und wir sind von München an den Gardasee gefahren.

Und wie war es?

Echt krass. Die zwei Tage waren die absolute Hölle. Und der Himmel zugleich. Aber ich habe gelernt: Es geht. Und weil es eben geht, dachte ich mir: „Mensch, dann fahre ich doch auch zu meinen Auftritten.“ Mit dem Rennrad. Und das mache ich nun. Nach Augsburg, Nürnberg oder Regensburg düse ich immer mit dem Renner. Mein Tour-Begleiter nimmt meine Klamotten, meinen Hut und mein Equipment im Auto mit. So kann ich tagsüber beispielsweise auf dem Renner nach Augsburg ballern, dort duschen, was Schönes essen und dann auftreten. Abends geht‘s mit dem Auto wieder heim.

Klingt nach einem Traumjob.

Ich muss nicht in irgendeinem Hotel absteigen, sondern liege abends daheim wieder bei meiner Frau im Bett. Die vielen Ausfahrten zu meinen vielen Auftritten machen mich konditionell zwar deutlich besser. Das gefällt den anderen aber nicht. Gar nicht.

Wer sind die anderen?

Meine Freunde. Ein Schreiner, ein Zahnarzt, ein Hotelier. Wir haben eine WhatsApp-Gruppe. Wenn ich da reinschreibe, dass wir in vier Wochen nach Wien fahren, meldete sich keiner zurück. Also rief ich am nächsten Tag bei jedem wie so ein Mafia-Boss an. Immer wieder. Und dann, wenn sie nicht mehr können, wenn sie nur noch am Boden liegen und winseln, dann weiß ich: Ich habe sie gebrochen (lacht). Irgendwann musste ich ihnen aber nicht mehr drohen. Sie waren angefixt. Sie wollten freiwillig in meine Gruppe „Club300“ aufgenommen werden. Die heißt so, weil wir mehr als 300 Kilometer am Tag fahren.

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