Die Angst vor „Disneyland“ in den Alpen

von Redaktion

Der Alpspitzsplash in Nesselwang ist die neue Attraktion im Allgäu. Bis zu 70 Personen können dort klettern. © Faszinatour

Rodeln ist bei vielen Familien im Winterurlaub beliebt. Aber die Bergbahn-Betreiber brauchen Kundschaft das ganze Jahr über – denn das Geschäft im Winter wird durch den Klimawandel immer schwieriger. © Imago

München – Im Januar 2023 stand Ministerpräsident Markus Söder (CSU) mit Mütze und Sonnenbrille auf Deutschlands höchstem Berg, der Zugspitze. Es lag viel Schnee, auf den Pisten war gut was los. Skibetrieb, wie er aufgrund der immer wärmeren Winter vielleicht bald nicht mehr funktioniert. Im vergangenen Winter war es laut Meteorologen in den bayerischen Alpen so warm wie nie seit Beginn der Aufzeichnungen. Wie geht es weiter in den Bergen mit wenig oder gar ohne Schnee? Söder spricht damals über Seilbahnförderung und beteuert dann: „Die Berge werden kein Disneyland.“ Genau das befürchten aber viele Umweltschützer. Denn immer mehr Skigebiete erweitern ihr Angebot vom Winter auf das ganze Jahr – mit Action.

Beispiel Nesselwang im Allgäu. Die dortige Alpspitzbahn wirbt mit einem „Bergerlebnis“. Es gibt dort die schnellste Zipline Deutschlands. Der Alpspitzcoaster garantiert „Rodelspaß das ganze Jahr hindurch“. Und seit Juni gibt es etwas neues: Auf dem Speichersee, der im Winter für die Beschneiung der Pisten genutzt wird, gibt es einen schwimmenden Kletterpark. Bis zu 70 Personen gleichzeitig können auf dem Wasser klettern. Bürgermeister Pirmin Joas sagt, das Angebot wird sehr gut angenommen. Die Bergbahn gibt es seit 1949, aber trotz guter Niederschlagsmengen im Winter habe man sich noch nie auf ausreichend Schnee verlassen können. Schon seit 25 Jahren versuche man, das ganze Jahr über Besucher anzulocken. „Das neue Angebot hat es uns ermöglicht, überhaupt noch am Markt zu sein“, sagt Joas. So geht es vielen Skidestinationen: Weil der Klimawandel und die allgemeinen Kostensteigerungen für Personal und Energie das Geschäft im Winter immer schwieriger machen, braucht‘s neue Strategien. Eine ist: Man verlängert die Saison.

Manchmal geht das auch in die andere Richtung als in Nesselwang, wo der Sommer mehr und mehr erschlossen wird. In Oberammergau haben sie eine Piste geopfert: Die bisherige Abfahrt von der Kolbensattelhütte verwandelt sich in eine Rodelbahn, der Alpine Coaster ist jetzt das ganze Jahr über in Betrieb. Die zuletzt dürftigen Winter waren ein Draufzahlgeschäft. So war es auch am Jenner im Berchtesgadener Land. Nach jahrzehntelanger Nutzung als kleines Skigebiet hat man dort Anfang des Jahres den Betrieb beendet. Wenn die Jennerbahn Ende 30. November in die Wintersaison startet, wird sie vor allem Gäste zum Rodeln und Winterwandern Richtung Gipfel bringen.

Die Zugspitze will voraussichtlich am 29. November die Saison eröffnen. Doch auch auf Deutschlands höchstem Berg (2962 Meter) ist derzeit offen, ob etwa der Platt-Schlepplift in dieser Saison überhaupt in Betrieb gehen kann. Die Piste verläuft auf dem Nördlichen Schneeferner, der als einer der vier letzten deutschen Gletscher rapide an Substanz verliert. Dadurch ist der obere Hang, früher eine leichte blaue Piste, steiler geworden und gilt nun als schwarze Piste. Vor allem vor dem Ausstieg am Lift ist die Neigung inzwischen groß, vielleicht bald zu groß. Es werde noch vor der Saison dazu Gespräche geben, sagt die Sprecherin der Zugspitzbahn, Verena Tanzer. „Wir schauen uns das ganz genau an.“

Was, wenn das Skigebiet immer weiter schrumpft? Gibt es dort auch bald Kletterparks? Auf der Zugspitze hat man eine klare Haltung: „Wir wollen keine Freizeitpark-ähnlichen Zustände in den Wandergebieten“, sagt Tanzer. Davor hatte in der Vergangenheit zum Beispiel Bergsteiger-Legende Reinhold Messner gewarnt. Und auch beim Bund Naturschutz (BN) sieht man die Entwicklung kritisch: „Den Trend erleben wir seit etwa 15 Jahren“, sagt Thomas Frey, Alpen-Experte beim BN. „Das ist nicht gut.“ In Nesselwang etwa sei ein „Funpark am Berg“ entstanden. „Braucht‘s das?“

Beim Deutschen Alpenverein hat man durchaus Verständnis für die Skigebiete. „Die müssen sich Gedanken machen“, sagt Steffen Reich, Ressortleiter Naturschutz. „Wir sind keine Fans von Jahrmarktattraktionen, von reinen Fahrgeschäften in den Bergen.“ Außerhalb bestehender Skigebiete lehne man einen solchen Ausbau komplett ab – innerhalb müssten Umweltschutzvorgaben streng eingehalten werden. Was Reich fehlt, ist ein Masterplan für die Berge. Der DAV fordert regionale Seilbahnkonzepte, damit nicht eine Rodelbahn neben der nächsten entsteht – und eine Überarbeitung der Richtlinien für die Seilbahnförderung. Der Erhalt bestehender Bahnen soll ebenso finanziell unterstützt werden wie der Neubau.

Thomas Frey hat ein schönes Beispiel, dass so etwas auch funktionieren kann. Am Hörnle bei Bad Kohlgrub haben sich die Verantwortlichen bewusst dafür entschieden, den fast schon historischen Sessellift stehen zu lassen. „Die Fahrt mit diesem langsamen Lift ist ein Erlebnis“, sagt Frey. Es gehe eben nicht nur darum, immer mehr Menschen möglichst schnell auf den Berg zu schaffen. Sondern manchmal auch um stillen Genuss.

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