Eine weiße Frau wie in den Sagen gibt‘s auch in der Oper „La dame blanche“. © Privat (2)
Der Sagen-Spezialist: Paul Fenzl hat für sein Buch die Sammlung des Priesters Alexander Schöppner gelesen.
König Watzmann und seine Familie wurden nach der Sage in Felsen verwandelt. © Picture Alliance
Oberhinkofen – Hexen und Geister faszinieren Paul Fenzl aus Oberhinkofen bei Regensburg schon lange. Seit er in einem Archiv das Original einer dreibändigen Sagen-Sammlung des Priesters Alexander Schöppner entdeckte. Schnell hatte der 74-Jährige die Idee, daraus ein neues Werk zusammenzustellen. Denn: „Nicht selten bergen die Sagen einen wahren Kern“, sagt er. Fenzl findet es nicht schwer, Parallelen zu unserer heutigen Welt zu finden. „Sagen zeigen vorwiegend negative menschliche Eigenschaften auf: Hass, Neid, Gewaltbereitschaft, Skrupellosigkeit“, betont er. „Wohin das führt – früher meist an den Galgen –, erzählt eine weitgehend fiktive historische Geschichte, eine Sage.“ Oft umrahmen negative Auswüchse der damals meist katholischen Religion und der mächtigen Herrschenden das Geschehen, erklärt er weiter.
Während er in der Sammlung Schöppners las, gruselte es ihn selbst hin und wieder, verrät er. Viele der alten Sagen seien ihm aus seiner zivilisierten Sicht zu blutrünstig. „Ich liebe die am meisten, die neben einem geschichtlich fundierten Hintergrund noch eine Art Happy End haben.“
Eine kleine Auswahl der schaurig-schönen Sagen aus seinem Buch haben wir hier zusammengestellt:
König Watzmann
Die Gipfel am Watzmanngebirge wurden früher oft mit Gesichtern gezeichnet – das soll die in Stein verwandelte Königsfamilie sein: Einst herrschte in Berchtesgaden der böse König Watzmann. „Süße Lust war es seinem grausamen Herzen, die Menschen zu quälen und die Tiere zu martern“, heißt es im Sagen-Buch. Mit Frau und Kindern liebte er die Jagd. Einmal sah die Königsfamilie eine Großmutter mit Enkelin vor einer Hütte. Der König ließ sie von seinem Pferd zerstampfen. Als der Bauer und seine Frau die Sterbenden bergen wollten, ließ Watzmann sie von seinen Hunden zerfleischen. Das alte Mütterlein aber verfluchte die Königsfamilie, „dass die Strafe Gottes sie erreiche und in Felsen verwandle“. Daraufhin bebte die Erde. Seitdem steht Watzmann mit seiner Familie als Fels verwandelt und blickt hinab ins Land.
Die verwünschte Frau
Mythen um eine „weiße Frau“ gibt es vielerorts. Diese bayerische Sage spielt auf dem unterfränkischen Schloss Wildenstein. Auf dem Gelände lebte einst ein Schäfer, der nachts in seiner Hütte von einer Erschütterung geweckt wurde. Draußen stand eine weiße Frau mit nassen Augen. Sie sprach zu ihm: „Ich bin eine verwünschte Dame aus dem Schloss, und du kannst mich erlösen.“ Der Schäfer sollte am folgenden Abend an der Schlossbrücke stehen. „Ich komme als Schlange, winde mich an dir hinauf und gebe dir die Schlüssel. Du darfst dich aber nicht fürchten, ich tu dir nichts.“ Der Mann willigte ein. Doch als er nachts an der Brücke stand, hörte er ein Donnern. Eine eisgraue Schlange mit einem Schlüsselbund im Maul schnellte auf ihn zu. Schreiend rannte der Schäfer davon. Da wurde die Schlange wieder zur Frau und jammerte herzzerreißend: „Jetzt dauert‘s wieder 100 Jahre, bis ich erlöst werden kann.“ Der Schäfer verließ aus Angst das Schloss. Davon ist heute nur noch eine Ruine übrig.
Die steinerne Agnes
Am Fuße des Dreisesselbergs im Lattengebirge im Berchtesgadener Land steht ein 15 Meter hoher Obelisk: die steinerne Agnes. Der Sage nach soll Agnes ein hübsches, fleißiges und frommes Mädchen gewesen sein. Der Teufel war hinter ihr her. Doch trotz mancher Verkleidung und Tricks scheiterte er „an dem lauteren Charakter der Sennerin“. So lange, bis er ihr eine weiße Kuh auf eine Alm entführte. Als Agnes das Tier fand, trat ihr der Teufel in Gestalt eines Jägers entgegen und drohte, sie zu zerreißen, wenn sie nicht mit ihm komme. Agnes bat Gott um Hilfe. Zwei Engel holten das Mädchen in den Himmel, der Teufel fand nur noch eine steinerne Säule vor.
Hexe von Menzing
Diese Sage spielt im heutigen Obermenzing, das als Dorf Menzing bereits 782 zum ersten Mal erwähnt wird. Ein junger Mann schlich sich eines Nachts zum Fenster seiner Geliebten. Er sah, wie die Frau einen Bund Stroh zusammenrichtete und schmückte. Sie sagte ihm: „Ich fahre aus. Wenn du mit mir reisen willst, so kannst du dich zu mir setzen. Rede aber kein Wort!“ Der Bursche setzte sich auf den Bund Stroh und flog mit seiner Geliebten durch den Kamin hinaus. Als sie nach einer Weile in Wien einigen Fackeln zu nahe kamen, schrie der Bursche auf. Sofort lag er auf dem Boden, die Frau flog ohne ihn davon. Der Bursche sah Wochen später seine Freundin auf dem Feld in Menzing wieder. Sie sagte: „Hättest du geschwiegen, so hättest du mit mir auf den Blocksberg zum Tanz fahren können.“
Kaiser im Untersberg
Mit seinem langen Bart sitzt ein alter Mann am Tisch: Im Sagenbuch ist das Friedrich Rotbart, Kaiser Barbarossa, der in der Tiefe des Untersbergs zwischen Berchtesgaden und Salzburg mit seinen Heerscharen ruht. Droht Krieg in der Region, kann man Waffengeklirr und laute Musik aus dem Berg hören. Kurz darauf stürmen wilde Ritter und Knappen auf feurigen Rossen in glühenden Panzern und sprühenden Waffen hinaus. Erst bei Nacht kehren sie in den Berg zurück: „Hier harren diese Gebannten unter Gebet und guten Werken ihrer Erlösung, um auf der weiten Ebene von Wals die Völkerschlacht zu schlagen, in der Kaiser Friedrich mit seinen Heeren der guten Sache den Sieg erringt.“
Feindliche Brüder
Die Lieblingssage von Paul Fenzl stammt aus Schwaben: In Lauingen an der Donau stand einst ein großes Gasthaus. Nach dem Tod des Wirts erbten die Zwillingssöhne das Gebäude. Als Werner heiratete, wollte er seinen Bruder Klaus dessen Erbteil abkaufen. Doch Klaus lehnte ab. Es kam es zum Streit – Klaus erstach Werner. Außer sich vor Kummer über seine Tat zog Klaus mit Herzog Leopold von Österreich in den Krieg. Er wurde schwer verwundet, aber gerettet. Als er in die Heimat zurückkehrte, sah er anstelle seines Elternhauses zwei Wirtshäuser. Wie durch ein Wunder stand sein Bruder Werner lebend in der Tür: „Siehe, ich habe das Haus niederreißen lassen und ließ zwei gleich große Häuser errichten.“ Fortan lebten die Brüder in Frieden beisammen. Von den Wirtshäusern gibt es heute keine Spur mehr.
Schatz aus der Burg
Oberhalb des Ortsteils Weidach thronte in Wolfratshausen einst eine Burg. 1734 wurde sie durch einen Blitzschlag zerstört. Der Sage nach ist das Schloss im Berg versunken – samt einem verborgenen Schatz. Diesen wollte ein junger Mann bergen. Im Schloss fand er drei Jungfrauen, die einst hier gewohnt hatten. „Eine von ihnen – oben weiß, unten schwarz – war wach; die beiden anderen schliefen“, heißt es in den „Sagen aus Bayern“. Die geheimnisvolle Frau erklärte dem Mann, er dürfe das Gold aus der Schatzkiste nehmen. Aber nur so viel er tragen könne. Das tat er, doch auf dem Heimweg wollte ihn der Teufel von seinem Vorhaben abbringen. Denn um die Jungfrau rankte sich ein Geheimnis: Sie hatte ihre blinden Schwestern betrogen, als sie das Vermögen geteilt hatten. Wegen des Betrugs wurde sie verdammt. Im Buch wird das so beschrieben: „Der Teufel peitscht sie mit Ruten, bis die Fetzen von ihr hängen.“ Dann werfe er sie „nachts um die zwölfte Stunde in ihr Bett, wo sie augenblicklich wieder ganz wird“. Diese Strafe dauert fort, „bis der ganze Schatz fortgetragen ist“.
Das Buch
„Sagen aus Bayern. Von Hexen, Heiligen und Halunken“ ist im Münchner Volk-Verlag erschienen (24,90 Euro).