PORTRÄT

Mit kantigem Zollinger Charme

von Redaktion

Otto Wiesheu wird 80: Krisenminister, Bahnmanager, Klartexter

Bahnkümmerer: Otto Wiesheu begutachtet 2003 die Arbeiten im S-Bahn-Tunnel Marienplatz–Isartorplatz. © Haag

„Ein großartiger Dickschädel“: Otto Wiesheu, Ex-Wirtschaftsminister, wird 80. © Frank Mächler/dpa

Zolling – Es war für Edmund Stoibers nüchterne Verhältnisse fast eine Liebeserklärung. „Du hast die Bodenhaftung nie verloren“, sagte er zum Jubilar. „Du bist der beste Wirtschaftsminister, den wir in Deutschland haben.“ Möge er „weitere 20 Jahre im Amt“ bleiben. Und noch eines sagte Stoiber: „Der Otto hat einen ganz besonderen Zollinger Charme.“

2004 war das, Otto Wiesheu feierte seinen 60. Geburtstag in einem kleinen Ort in seinem Heimatlandkreis Freising, sein Chef als einer von sehr vielen Ehrengästen. Mindestens einer von Stoibers Wünschen ging dennoch nicht in Erfüllung: Wenige Monate später verließ Wiesheu sein Ministerium, die ganze Politik sogar. Immerhin eines hat Gültigkeit, wenn Wiesheu nun diese Woche seinen 80. begeht: der spezielle „Zollinger Charme“.

Es ist kein kantenfreier Charme, eher eine robuste Geradlinigkeit. Der Bauernsohn und Volljurist Wiesheu verstellt sich selten, kommuniziert knapp, manchmal nur mit einem tiefen Brummen. Dafür wird ihm Ehrlichkeit nachgesagt, gepaart mit Beharrungskraft. „Der Otto ist ein großartiger und erfolgreicher Dickschädel“, sagte sein Ministerkollege Kurt Faltlhauser einst. Und der frühere Bahn-Chef Hartmut Mehdorn befand: „Wir haben gerauft, dass es gekracht hat. Aber die kleinen Dicken halten mehr aus.“

Wiesheu hatte als Politiker Höhen und schlimme Tiefen; letzteres vor allem, als er in den 80ern einen tödlichen Verkehrsunfall verursachte. Rücktritt, Prozess, Urteil. Er arbeitete sich wieder hoch. Um als Minister dann sofort rumpelige Zeiten zu bestehen. Er kam 1993 ins Amt, mitten in einer schweren Krise, und blieb zwölf Jahre. Der Oberbayer erarbeitete sich einen Ruf als uneitler Kümmerer, der oft im Schulterschluss mit Bossen und Gewerkschaften bayerischen Betrieben in Notlagen half, Arbeitsplätze rettete.

Vor 25 Jahren soll er Bankmanagern mal gedroht haben, so lange in ihrem Büro sitzen zu bleiben, bis sie einer angeschlagenen Firma einen rettenden Kredit ausreichen. Er lacht herzlich, wenn man ihn heute darauf anspricht, und erinnert sich genau an die Szene. „Die haben die Faust in der Tasche gehabt. Aber das war mir wurscht.“

Der Deutsche Gewerkschaftsbund verlieh ihm 1997 seine höchste Ehre, die Hans-Böckler-Medaille, die wahrlich nicht für Unionspolitiker erfunden wurde. Trotzdem: Einige Firmen, die mit Wiesheus Zutun in jener Zeit gerettet wurden (Grundig oder die Maxhütte zum Beispiel), gingen halt später den Bach runter.

Heute gilt der Stoiber-Ministerrat jener Jahre als der selbstbewussteste und beste der letzten Jahrzehnte: neben Wiesheu und Faltlhauser mit Thomas Goppel, Erwin Huber, Günther Beckstein, Hans Zehetmair, Christa Stewens, Barbara Stamm, alles damals Figuren mit bundesweiter Strahlkraft. Als Wiesheu 2005/06 völlig überraschend für drei Jahre in den Bahn-Vorstand wechselte, riefen ihm sogar die Grünen (neben einiger saftiger Kritik) hinterher: „Er wird uns fehlen.“

Er fehlt auch manchen in der CSU. Denn ein Fachminister ähnlichen Formats kam nie nach. Inzwischen ist das Wirtschaftsressort regelmäßig Sache der Koalitionspartner, erst FDP, nun in der zweiten Amtszeit FW-Chef Hubert Aiwanger. Über Aiwanger, seinen sechsten Nachfolger, könnte Wiesheu viel sagen, beißt sich aber auf die Zunge. Parteifreunde murmeln, wie unsere Zeitung unlängst schrieb, dass man sich in dem Amt etwas mehr um Wirtschafts- und weniger um Jagdbelange kümmern müsse – Tenor: „weniger Otter, mehr Otto“.

Seinen 80. Geburtstag kann Wiesheu gesund feiern und mit dem Luxus, zur Tagespolitik schweigen zu können. Er schimpft allenfalls über die großen Linien, die in seinen Augen missglückte Energiepolitik des Bundes zum Beispiel. „Das wird ein gewaltiger Schuss in den Ofen“, sagte er schon 2012 über den Atomausstieg. Oder dass er den Verzicht auf den Transrapid zum Flughafen für einen Fehler hielt, hat er auch schon durchblicken lassen.

Wer ihn trifft, hat den Eindruck, auf einen Zufriedenen zu stoßen. Siebenfacher Opa, drei Enkel kamen in den letzten Monaten. Ehrenämter hat er kaum noch. Den Vorsitz beim Wirtschaftsbeirat hat er an Angelika Niebler weitergegeben. In der Deutsch-Arabischen Freundschaftsgesellschaft engagiert er sich noch als Chef. Was geblieben ist aus der Politik: Wenige enge Freundschaften, unter anderem zu seinem damaligen Staatssekretär Hans Spitzner, auch schon 80. Mit Ilse Aigner. Und mit Stoiber. Der Ex-Regent ist übrigens wieder zum Geburtstag eingeladen. Er wird bestimmt noch mal was über den „Zollinger Charme“ sagen.
CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER

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