Dialekt-Zoff: Wie bairisch darf Bayern sein?

von Redaktion

Nikolaus Kraus spricht immer Dialekt.

Ilse Aigner, Präsidentin des Landtags.

Markus Söder, Ministerpräsident, ist Franke.

Niklas Hilber vom Bund Bairische Sprache.

Im Bierzelt wird meist Bairisch gesprochen. Hier ratschen die Trachtler auf der Oidn Wiesn. © Schmidt, imago, dpa (2), baumgart

München – Wie viel Dialekt verträgt ein Klassenzimmer? Ein Schreiben, das ein Dozent der Ludwig-Maximilians-Universität an Chemie-Lehramtsstudenten verteilt haben soll, alarmiert den Bund Bairische Sprache. Der Dozent will, dass seine Studenten später auf Hochdeutsch unterrichten. Sie sollen die statt der Butter sagen, auf „Spezialausdrücke“ wie Oachkatzlschwoaf sowie auf Eigenkonstruktionen – Beispiel: „Wennst an Bleamestock ned giaßst, na dadiada da!“ – und möglichst auch auf „Lokalkolorit“, also Akzent verzichten.

Der neue Vorsitzende der Dialektpfleger, Niklas Hilber, ist entsetzt: „Wenn der Dozent einheimischen Lehramtsstudenten nahelegt, im eigenen Land ihre angestammte Art der Aussprache ihrer eigenen Hochsprache zu unterdrücken und sich einen fremden Regionalismus anzueignen, dann ist das nicht anderes als eine neokoloniale Herrenmenschattitüde“, wettert er. Die Position des Vereins: „Ein sensibler Einsatz von Dialekt im Schulunterricht wirkt nicht ausgrenzend, sondern inklusiv.“

Das sieht der Chemie-Dozent anders: Jede Sprache, jeder Dialekt diskriminiere zwischen Verstehern und Nichtverstehern, schreibt er. „Der größte gemeinsame Nenner in Deutschland ist die deutsche Sprache. Diese ist somit die Unterrichtssprache auch in Bayern(!)“, heißt es weiter. „Jeder Dialekt, dessen Sprachkonstruktion von den Konventionen der deutschen Sprache abweicht, diskriminiert Personen, die seiner nicht mächtig sind. So etwas darf sich eine Lehrkraft nicht leisten.“

Der Bund Bairische Sprache wünscht sich eine Distanzierung der LMU von den „Entgleisungen“. Doch diese Forderung hat die Universität bisher nicht erreicht. „An der LMU gibt es keine allgemein gültige Regelung für die Verwendung von Dialekten bei Lehrveranstaltungen und Prüfungen“, teilt eine Sprecherin mit. „Die Amtssprache und die offizielle Lehrsprache in deutschsprachigen Studiengängen ist Deutsch.“ Der Dozent war für unsere Redaktion nicht erreichbar. Ein Dialekt-Gegner scheint er nicht zu sein, sein Schreiben endet so: „Pflegen Sie Ihren Dialekt im privaten Umgang, damit er nicht ausstirbt.“ Aber wie verpönt ist Bairisch in anderen Lebensbereichen? Ein Überblick.

Schule: Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayerischen Lehrerverbands, lebt und liebt als Münchnerin ihr Bairisch. „Im Unterricht gilt aber: Ein Lehrer ist ein Sprachvorbild und darf durch Sprache nicht ausgrenzen.“ In der Grundschule ist Spracherziehung noch ein eigenes Unterrichtsfeld, selbstverständlich wird da am Hochdeutsch gefeilt. „Auch in höheren Jahrgängen wird der Satz des Pythagoras in der Hochsprache gelehrt, die alle verstehen.“ Gleichzeitig gilt: An jeder Schule sollte Platz für Dialekt sein, etwa in Kunst, Musik oder auch Deutsch. „Der Dialekt spielt auch für die Integration eine zentrale Rolle. Durch ihn kann man das Land kennenlernen.“

Fernsehen: Beim BR Fernsehen gibt es keine Direktive für die Redaktionen. „Dialekt zu sprechen, ist allerdings ausdrücklich erwünscht“, teilt eine Sprecherin mit. „Sprache ist identitätsstiftend und zugleich eine sehr persönliche Angelegenheit. Wie ausgeprägt eine mundartliche Färbung bei einem Sprecher, einer Moderatorin oder bei Protagonisten zu hören ist, ergibt sich nicht nur aus der Herkunft und den Präferenzen der sprechenden Person, sondern auch aus dem Kontext der jeweiligen Sendung.“ Bei Nachrichtensendungen wie der „Abendschau“ stünde die Verständlichkeit im Vordergrund. Bei der Serie „Dahoam is Dahoam“ werde explizit Wert auf Dialekt gelegt.

Kabinett: Das bayerische Kabinett ist Bayern wie in einem Brennglas: Die Minister, die Ministerpräsident Markus Söder für die CSU ernennt, müssen traditionell aus allen sieben Regierungsbezirken kommen. „Bei uns herrscht Vielfalt“, sagt Mittelfranke Söder. „Alles ist dabei: oberbayerische Spruchweisen, weiche fränkische Konsonanten, schwäbischer Sing-Sang, Oberpfälzer Charme, breites Niederbayerisch und sogar etwas Hochdeutsch.“

Landtag: Landtagspräsidentin Ilse Aigner spricht selbst Dialekt und freut sich „sehr, dass man in den Plenarsitzungen des Landtags sehr oft die verschiedenen Mundarten aus ganz Bayern hören kann“, sagt sie. Die Abgeordneten und auch sie selbst seien im Zweifel natürlich auch der Schriftsprache mächtig. „Und wenn alle Stricke reißen, kann ein Blick ins Protokoll eventuelle Unklarheiten ausräumen.“ Nikolaus Kraus (59) ist so ein Kandidat, bei dem die Stenografen ganz genau hinhören müssen: Er sitzt für die Freien Wähler im Landtag und spricht auch bei offiziellen Anlässen Dialekt. Kürzlich hat der Landwirt aus Ismaning sich zu einem Zwischenruf im Plenum hinreißen lassen. Eine Kollegin hatte geschimpft: „Da wird ja die Suppe teurer als das Fleisch!“ Kraus korrigierte das Sprichwort lautstark: „D`Soß!“ Das Protokoll der Stenografen brachte Kraus zum Lächeln. Hat sein Gegenüber aber Schwierigkeiten, den Dialekt zu verstehen, verwendet er zum Beispiel statt „Glufern“ eben „Sicherheitsnadel“.

Kindergarten: Sabine Binderberger ist Chefin eines Waldkindergartens der AWO bei Brunnthal. 20 Kinder betreut sie mit ihrem Team. Sabine Binderberger schätzt, dass davon sechs Kinder Dialekt sprechen. Im direkten Gespräch reden die drei Erzieherinnen mit diesen Kindern Bairisch. „In der Gesamtgruppe reden wir Hochdeutsch, damit es alle verstehen“, sagt die Leiterin. Bei der KEG Bayern, die als Berufsverband Lehrkräfte und Pädagogen aus allen Bildungsbereichen vertritt, legt man viel Wert auf Mundart, sagt Landesvorsitzender Martin Goppel. „Beim Sprechen ist alles erlaubt.“ Bairisch-Debatten, die immer mal wieder aufploppen, hält Goppel allerdings für ein Luxus-Problem: Bei vielen Kindern in Schulen und Kindergärten wären die Betreuer schon froh, wenn sie überhaupt Deutsch sprechen.

Konzerne: In Bayern sind viele Weltkonzerne daheim. Bei BMW zum Beispiel arbeiten 155 000 Mitarbeiter aus über 110 Nationen, wie ein Sprecher mitteilt. Es gebe grundsätzlich keine „Sprachpolizei“ bei BMW. Die Geschäftssprachen im Konzern seien Deutsch und Englisch, man akzeptiere aber jede Form der Kommunikation. „Gerade an unseren bayerischen Standorten sind viele Ausprägungen der bairischen Dialekte verbreitet“, sagt er.

Amt: Das Münchner Kreisverwaltungsreferat dürfte eine der größten Behörden mit Kundenkontakt Bayerns sein. Die Mitarbeiter sind laut einer Sprecherin aufgefordert, „verständlich zu sprechen“. „Das darf natürlich auch im Dialekt sein, wenn das Gegenüber ebenfalls Dialekt spricht oder dieser Dialekt so moderat ist, dass die Verständlichkeit wie bei der Standardsprache ist.“ Dass Mitarbeiter so stark Dialekt sprechen, dass sie nicht verstanden werden, dürfe nicht vorkommen.

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