Hütten-Legende Charly sagt Servus

von Redaktion

Kult-Wirt Wehrle verlässt mit 75 Jahren seinen Arbeitsplatz in den Lechtaler Alpen

Gipfelstürmer: Charly Wehrle 1976 auf Expedition am Nanga Parbat. © privat

Ein Leben reich an Arbeit und Abenteuern: Charly Wehrle war seit 1978 Hüttenwirt. Nun beginnt für ihn ein neuer Lebensabschnitt. © privat

„Falls Dinge einmal nicht so laufen, wie du es dir vorstellst, versuch es auf einem anderen Weg!“ Diesen Rat bekam der gebürtige Allgäuer Charly Wehrle einst von seinem Vater. Wehrle ist viele Wege gegangen. Als Hüttenwirt wurde er zur Legende. Als Kletterer und Abenteurer bereiste er die Welt und nahm die Leser seiner zahlreichen Bücher mit auf die Reise. Nun hört der 75-Jährige als Hüttenwirt auf.

Ist Ihnen der Abschied als Hüttenwirt schwergefallen, Herr Wehrle?

Nein, ich habe mich innerlich darauf vorbereitet. Zweitens habe ich mit Andy Kiechle und Jannik Storf auf der Reintalangerhütte und auf der Frederick-Simms-Hütte zwei Wirte als Nachfolger ausgebildet, die meine Mission fortführen. Ich habe die Hütten in die besten Hände gegeben, das macht das Aufhören leichter.

Ruhestand – das passt nicht zu Ihrem bewegten Leben.

Ich habe 1998 im Allgäu einen Bauernhof gekauft, abgerissen und neu aufgebaut. Da finden immer wieder Veranstaltungen und Lesungen statt. Mir wird nicht langweilig.

Sie gelten als Legende unter den Hüttenwirten. Gibt es ein Erfolgsrezept?

Das hat sich von ganz allein ergeben. Ich gehe seit meinem fünften Lebensjahr in die Berge. Als ich 1978 als Wirt die Stuibenhütte übernommen habe, war ich selbst als Kletterer aktiv. Das war eine Aufbruchstimmung in der Szene – wie ein Becher Ambrosia. Viele junge Leute waren damals bei mir auf der Hütte, unter anderen auch Stefan Glowacz. Ich wusste genau, was ein Kletterer braucht, wenn er von einer Tour kommt: Geborgenheit, ein Getränk, ein gutes Essen und eine warme Stube, in der er sich wohlfühlt. Dann erzählt er dir sein ganzes Leben. Diese familiäre Atmosphäre konnte ich meinen Gästen geben. Noch dazu war ich immer ein Freund gemäßigter Preise. Dieser Ruf eilte mir voraus.

Ein Leben auf dem Berg stellen sich viele sehr romantisch vor. Wie hart war der Alltag tatsächlich?

Anfangs auf der Stuiben- und der Oberreintalhütte im Wettersteingebirge war es für mich ein einfaches, aber wunderbares Leben. Auf der Reintalangerhütte habe ich dann schon 18 bis 20 Stunden am Tag gearbeitet. Als ich die Hütte 2009 nach 24 Jahren verlassen habe, war die Zahl der Übernachtungen von anfangs 2800 auf bis zu 8500 pro Jahr gestiegen. Aber ich hatte immer ein super Team – und den ganzen Winter, um mich von den Strapazen des Sommers zu erholen.

Dabei sollten Sie eigentlich Metzger werden, haben sogar die Meisterprüfung abgelegt.

Mein Vater hat mich mit 14 Jahren in die Lehre gesteckt. Das war ein komplett autoritärer Laden. Da hat es damals noch Schläge gegeben. Die Lehre hat mich animiert, auf jeden Fall mein eigener Chef zu werden und das Chefsein anders auszulegen als mein Lehrherr.

Ihr Vater starb mit 65 Jahren, kaum dass er in Rente war. Für Sie ein Signal, nichts im Leben aufzuschieben?

Ja, das habe ich mir am Grab meines Vaters geschworen. Mein erklärtes Ziel war es, ein halbes Jahr zu schuften und ein halbes Jahr Zeit für meine Reisen zu haben. Mit der Übernahme der Reintalangerhütte hatte ich das erreicht.

Der Generation Z mit ihrer Forderung nach Work-Life-Balance wird dieses Verhalten vorgeworfen. Können Sie die Jungen verstehen?

Absolut! Allerdings braucht man dafür auch Courage. Wenn ich zurückblicke, hatte ich ein arbeitsreiches, aber auch ein sehr erfülltes Leben. Ich bin viele Risiken eingegangen, aber ich wurde dafür auch belohnt.

Courage mussten Sie schon als Kind beweisen, als Sie als Elfjähriger zur Ferienarbeit auf das Gimpelhaus in den Tannheimer Bergen verfrachtet wurden.

Ohne Eltern war ich zwei Monate in der Obhut des Hüttenwirtes und der Sennerin. Ich musste bei Regen, Sturm oder Sonnenschein täglich fünf Kühe zusammentreiben. Ich hatte früh Verantwortung, und die habe ich auch übernommen. Und vor allem habe ich die Kletterer kennengelernt, die von ihren Touren kamen, sich austauschten, Gitarre spielten und miteinander lachten. Das war die Geburtsstunde von meinem späteren Hüttenwirtsdasein.

Sind die Gäste heute anspruchsvoller?

Natürlich hat heute auch am Berg jeder ein Smartphone. Und eine gravierende Veränderung ist auch, dass man heute auf den Hütten reservieren kann. Das gab es früher nicht. Aber wir haben es immer so organisiert, dass alle Gäste an einem Tisch in der Reihe saßen und aus einer Schüssel geschöpft haben. Allein dieses gemeinsame Essen hat auf der Hütte ein Zusammengehörigkeitsgefühl erzeugt. Ein einfaches, aber wirksames Konzept.

Auf der Reintalangerhütte haben Sie im Jahr 2000 Ihre Frau kennengelernt, zwei Jahre später kam Ihre Tochter Emilia zur Welt. Hat die Familie die Abenteuerlust verändert?

Per Autostopp durch Namibia, ein Besuch bei Bergpionier Hans Ertl im bolivianischen Urwald, mit dem Bus nach Persien oder 1976 eine Expedition am Nanga Parbat – das waren gelebte Träume, die ich mir erfüllen konnte, weil ich ungebunden war. Als meine Tochter zur Welt kam, war mir das plötzlich viel wichtiger als jeder Gipfel der Welt. Heute wohnt Emilia mit ihrem Freund auf unserem Bauernhof. Meine Familie ist die Krönung meines Lebens.

Ihr Bruder starb beim Klettern. Sie überstanden einen 30-Meter-Sturz auf der Roten Flüh. Als Hüttenwirt mussten Sie zu Rettungseinsätzen ausrücken. Hat Sie die Konfrontation mit dem Tod geprägt?

Ich hatte einen leistungsfähigen Schutzengel, aber der Sturz ist mir immer gegenwärtig – ob beim Äpfelpflücken im Baum, beim Autofahren oder auf dem Motorrad. Viele meiner Bekannten sind beim Bergsteigen tödlich verunglückt. Man muss das Leben bejahen und bewerkstelligen – jeder auf seine Weise.

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