Warten auf Schnee: Michael Siebert (re.) und Thomas Hobmeier koordinieren den Pflug-Einsatz.
Kolonne marsch: Angeführt von einem Räumfahrzeug mit einem acht Meter breiten Räumschild fahren die Winterdienst-Lkw auf die Startbahn. Gestern war es eine Übung, Schnee ist ja noch nicht in Sicht. © Marcus Schlaf
München – Wenn man die nackten Zahlen betrachtet, könnte man glauben, der Flughafen München erwartet einen Horrorwinter: 750 000 Liter Flüssig-Enteiser sind gebunkert, 184 Fahrzeuge sind einsatzbereit. Und 615 Winterdienst-Mitarbeiter stehen quasi Gewehr bei Fuß. Oder sollte man sagen: Schneeschaufel bei Fuß?
Der Winter naht jedenfalls, graue Nebelschleier liegen über dem Airport-Gelände, der Flughafen rüstet sich für die kalte Jahreszeit. Michael Siebert, Winterdienst-Leiter beim Flughafen, steht am Rand der Nord-Startbahn neben einem sogenannten Startbahnschneepflug für Kehlblasgeräte, ein Riesen-Laster mit einem acht Meter breiten Schneepflug. „Wir reden jetzt über Schwarz-Räumung“, sagt der Mann mit der grellgelben Warnweste. Schwarz-Räumung heißt: eine schneebedeckte Startbahn muss so geräumt werden, dass man den Asphalt wieder sieht. Das geschieht am Flughafen nach einem ausgeklügelten Konzept, das an diesem Dienstag getestet und vorgeführt wird. Dafür wird sogar die Startbahn gesperrt – alle Flugzeuge müssen eine halbe Stunde lang auf die Süd-Bahn ausweichen.
Vor jedem Wintereinsatz muss die Beschaffenheit der Rollbahnen untersucht werden. Das übernimmt ein „Friction-Tester“, ein Spezial-Pkw mit fünf Rädern – das fünfte Rad kann ein- und ausgeklappt werden und misst Temperatur, Eisschicht oder Schneehöhe am Boden. Auch das wird demonstriert. Peter Guderis-Bayer ist Airport Duty Manager oder auf Deutsch: ein Verkehrsleiter, der per Funkkontakt zum Tower erst klärt, wann die Startbahn frei ist für den großen Wintertest. Nachdem ein Dreamliner der Vietnam Airlines und ein Flieger der Lufthansa gestartet sind, ist es soweit: Start-Freigabe für die Räum-Leute. Mit genau 96 km/h, der optimalen Geschwindigkeit für die Messfahrt, rast Guderis-Bayer über die vier Kilometer lange Startbahn. An einem harten Wintertag macht er das bis zu 30 Mal, erläutert der Mann am Steuer. Hinter ihm folgt eine Kolonne an Räumfahrzeugen. 32 Stück, erst die Schneeräumer, danach Sprühfahrzeuge – „Airport Spüler Dammann auf MAN Träger Fahrzeug“ lautet die korrekte Bezeichnung – und am Ende noch mal kleinere Schneeräumer, teils an Traktoren montiert. Das Sprühfahrzeug ist eine Spezialanfertigung. die Sprüharme sind insgesamt 45 Meter lang – das reicht für die 60 Meter breite Startbahn. Gesprüht wird eine Art Sole, manchmal aber auch nur Gurkenwasser, um die Bahn abzutauen. Der beiseitegeräumte Schnee wird mit Verladefräsen auf Lkw gepackt. 4000 Tonnen schafft eine Fräse in der Stunde. Der Schnee kommt auf die Schneedeponie am Rande des Airports. Dort kann er dann im Frühjahr wegtauen. „Manchmal sieht man den Schnee noch im Juni“, sagt Guderis-Bayer.
Für manche Landwirte und Fuhrunternehmer in der Flughafen-Region ist die Winterräumung ein lohnendes Geschäft, denn der Flughafen selbst stellt nur 95 der insgesamt 615 Winterdienstler. Alle anderen fahren nur nach einer Alarmierung zum Flughafen raus. „Innerhalb von einer Stunde muss er da sein“, sagt Thomas Hobmeier, der am Flughafen solche Dienste koordiniert. „Und das klappt auch.“
So viel Aufwand – dabei werden die Winter immer milder, wie Meteorologin Katrin Hohmann vom Deutschen Wetterdienst sagt. Sie leitet am Flughafen die Luftfahrt-Beratungszentrale. Seit nunmehr zehn Jahren ist die Schneefallmenge im Winter gleichbleibend niedrig. 2012/13 war der letzte Winter mit viel Schnee am Flughafen, insgesamt 110 Zentimeter. Im Winter 2023/24 waren es indes nur 45 Zentimeter. Davon fielen allerdings 41 Zentimeter, begleitet von Eisregen, in nur einer Nacht am 2./3. Dezember 2023. Das war damals selbst für die Schneeräum-Kolonne zu viel: Der Flughafen musste den Betrieb einstellen. Immerhin nur einen Tag. Bei S-Bahn und Tram waren es bis zu fünf Tage.
DIRK WALTER