Hallo Berlin, ich komme (wenn denn der Wähler es will). Hubert Aiwanger am Brandenburger Tor, hier bei einer Protestkundgebung der Spediteure. © Stefan Zeitz/Geisler-Fotopress/pa
München – Die Mitteilung ist deutlich und dürfte auch die Landespolitik durcheinanderwirbeln: „Hubert Aiwanger wird für den Bundestag kandidieren“, so lautet der erste Satz einer Erklärung, die der Freie-Wähler-Chef am Donnerstagmorgen verbreitet. Die Freien Wähler, kündigte der bayerische Wirtschaftsminister zudem an, werden „zeitnah mindestens drei aussichtsreiche Kandidaten vorstellen, die das Direktmandat holen können“. Ziel sei es, dass die Freien Wähler „in Fraktionsstärke in den Bundestag einziehen“. Angestrebt sei eine „bürgerliche Koalition“, bestehend aus CDU/CSU, der FDP und eben den Freien Wählern. Mit SPD oder gar den Grünen mag Aiwanger nicht.
Das ist die Taktik: Die Freien Wähler wollen die drei Direktmandate holen, um so die Fünf-Prozent-Sperrklausel zu umgehen. Denn trotz der Wahlrechtsreform, die die Zahl der Abgeordneten künftig auf 630 begrenzt, gilt die Grundmandatsklausel unverändert fort. Sie besagt, dass eine Partei gemäß ihres Gesamtergebnisses auch dann in den Bundestag einziehen kann, wenn sie weniger als fünf Prozent erreicht – aber nur, wenn sie in mindestens drei Wahlkreisen das Direktmandat holt. Die FW stehen bei Umfragen zum Wahl des Bundestags bei drei Prozent (Institut Ipsos von gestern), die Fünf-Prozent-Hürde zu schaffen, sei „schwierig, aber nicht unmöglich“, wie das Münchner FW-Urgestein Michael Piazolo sagt. Jetzt beginnt der Poker, welche Kandidaten bei den Freien Wählern wohl das Direktmandat holen könnten.
Aiwanger selbst gilt als gesetzt. Nur wo er antritt, lässt er am Donnerstag noch offen. Sein Wohnsitz ist im niederbayerischen Landkreis Landshut. Dort holte er bei der Landtagswahl 2023 auch das Direktmandat mit 37,2 Prozent – sein CSU-Konkurrent Helmut Radlmeier hatte keine Chance. Derzeitiger direkt gewählter Bundestagsabgeordneter im Wahlkreis 227 Landshut-Kelheim ist der CSU-Politiker Florian Oßner, ein Hinterbänkler, der bei der Wahl 2021 36,4 Prozent der Stimmen erzielte. Wohl ein schlagbarer Gegner. „Den Wahlkreis wollen wir auf alle Fälle holen“, sagt Aiwanger unserer Zeitung.
Allerdings gab es zuletzt Spekulationen, dass Aiwanger in seinem Heimat-Wahlkreis dem Landshuter Landrat Peter Dreier (FW) den Vortritt lassen könnte. Aiwanger selbst könnte dann in den Wahlkreis 229 Rottal-Inn ausweichen, wo der CSU-Lokalmatador Max Straubinger nicht mehr antritt – sein Nachfolger sollte nach CSU-Planungen der Bürgermeister von Bayerbach, Günter Baumgartner, werden. In Rottal-Inn sind die Freien Wähler traditionell stark, holten bei der letzten Landtagswahl mehr Stimmen als die CSU. Auch Aiwangers Lebensgefährtin Tanja Schweiger, Landrätin im Landkreis Regensburg, wurde schon als Bundestags-Kandidatin genannt. Zudem hoffen die Freien Wähler, in einigen anderen Bundesländern punkten zu können. In Rheinland-Pfalz sind sie ebenfalls im Landtag, in Brandenburg verpasste ihr Kandidat Peter Vida bei der letzten Wahl das Direktmandat nur knapp – er könnte jetzt für den Bundestag antreten.
All das sind aber bislang Spekulationen, heißt es aus FW-Kreisen. Das Ampel-Aus kam so überraschend, dass die Kandidaturen jetzt erst eingetütet werden müssen. Die Aufstellungsversammlungen, wie gestern in München-Giesing, beginnen gerade erst. Möglicherweise wird man schon beim Bundesparteitag der Freien Wähler übernächsten Samstag in Geiselwind klarer sehen – dort soll Aiwanger, so der Plan, auch offiziell zum Spitzenkandidaten ausgerufen werden.
Sollte Aiwanger wirklich in den Bundestag ziehen, müsste er sein Amt als Wirtschaftsminister und stellvertretender Ministerpräsident aufgeben. Nur: wer folgt dann? Darüber, heißt es bei den FW, sei ernsthaft noch gar nicht geredet worden.
DIRK WALTER