Justizminister Eisenreich musste sich gestern im Ausschuss vielen Fragen der Opposition stellen.
Skandal hinter Gefängnismauern: Zu den Vorfällen in der JVA Gablingen laufen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft. © dpa (2)
München/Gablingen – Die Vorwürfe, die im Raum stehen, sind gravierend: misshandelte Häftlinge, geschredderte Beweise – und ein Ministerium, das die Vorfälle falsch eingeschätzt hat. Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU) musste gestern im Rechtsausschuss des Landtags zu dem Skandal um die JVA Augsburg-Gablingen Rede und Antwort stehen. Er räumte ein, dass sein Haus die Dimension der Vorfälle zunächst nicht richtig eingeschätzt habe. „Es sind Fehler passiert und daraus müssen wir Konsequenzen ziehen.“
Die Staatsanwaltschaft Augsburg ermittelt aktuell gegen 16 Mitarbeiter der Justizvollzugsanstalt, die stellvertretende Leiterin ist vom Dienst freigestellt. Es besteht der Verdacht, dass Häftlinge in besonders gesicherten Hafträumen, im Juristendeutsch BGHs genannt, misshandelt wurden. Zuletzt kam noch der Verdacht hinzu, dass nach Bekanntwerden der Vorfälle JVA-Mitarbeiter relevante Akten vernichtet haben sollen (wir berichteten). Eisenreich versprach gestern erneut eine lückenlose Aufklärung. „Wir drehen jeden Stein um.“ Das sei man auch den 6000 bayerischen JVA-Mitarbeitern schuldig, die unter schwersten Bedingungen vorbildliche Arbeit leisten würden.
Zu den laufenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft kann sich Eisenreich nicht äußern. Aber er legte offen, was in seinem Haus passiert ist, seit dort das erste Mal Vorwürfe zur JVA Gablingen bekannt wurden. Rückblickend zeigen die Zahlen, die er vorlegte, dass in Gablingen 2023 sowohl die Fälle von BGH-Unterbringung enorm gestiegen sind, als dort die neue stellvertretende Chefin begonnen hatte (von 59 im Jahr 2022 auf 126). Auch die Zahl der Beschwerden war von 17 (2022) auf 47 gestiegen.
Eine Beschwerde-Mail habe herausgestochen, berichtet Eisenreich: die der Ärztin, die die Ermittlungen ins Rollen gebracht hatte. Sie ging beim Ministerium am 18. Oktober 2023 ein. Die zuständige Abteilung habe daraufhin von der JVA einen Bericht angefordert, die Ärztin um eine Konkretisierung gebeten und die Mail an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet. Die JVA hatte alle Vorwürfe zurückgewiesen, auch bei einer sowieso geplanten Visitation in der Haftanstalt deutete laut Ministerium nichts auf Missstände hin. So war man damals zu der Entscheidung gekommen, dass derzeit kein aufsichtliches Einschreiten geboten sei.
Über die Mail und die schweren Vorwürfe wurde der Justizminister am 24. Oktober 2024 informiert, als in seinem Haus ein anonymer Hinweis einging, dass die nationale Stelle zur Verhinderung von Folter bei ihrer Kontrolle in der JVA Gablingen von Mitarbeitern getäuscht worden sei. Seitdem hatte Eisenreich eine Taskforce eingesetzt, die stellvertretende Chefin freigestellt und ein Betretungsverbot in der JVA für alle Beschuldigten ausgesprochen. Er habe die Hafträume besichtigt, viele Gespräche geführt, Kontrollmechanismen verschärft und will den Umgang mit Beschwerden in seinem Haus ändern. Mehrmals betonte Eisenreich gestern, dass im Ministerium nichts vertuscht worden sei. Aber er räumte ein, dass die Dimension der Vorfälle in seinem Haus zunächst unterschätzt worden sei.
Auch gestern blieben etliche Fragen offen, die der Minister mit Verweis auf die laufenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft nicht beantworten konnte. Zum Beispiel danach, wieso in der JVA Beweismaterial vernichtet werden konnte. Für Toni Schuberl (Grüne) klang das Vorgehen des Ministeriums nicht nach „Durchgreifen mit scharfem Schwert“, sondern eher nach einem „Problem wegmoderieren an die Staatsanwaltschaft“. Gülseren Demirel (ebenfalls Grüne) wollte wissen, warum sich das Ministerium nach der „erschütternden“ Beschwerde der Ärztin nur auf die Informationen der JVA verlassen habe. Den Vorwurf, nicht schon 2023 intensiv ermittelt zu haben, musste sich Eisenreich von der Opposition gestern mehrmals anhören. Er räumte ein: „Rückblickend muss man sagen, man hätte mehr tun müssen.“