Der Link ins Jenseits

von Redaktion

Sie haben 1300 Friedhöfe besucht: die Soziologen Thorsten Benkel (rechts) und Matthias Meitzler. © privat

Mit einem QR-Code am Grab können Gedenkseiten zu den Verstorbenen geöffnet werden. Bisher gibt es das nur vereinzelt. Doch das könnte sich in den kommenden Jahren ändern. © dpa

München – Oleksandr Platonov bewahrt Lebensgeschichten. Er packt sie in wenige Zentimeter große Quadrate – in QR-Codes. Sie können auf Grabsteinen angebracht werden oder auf Holzkisten, in denen man Andenken aufbewahrt. Wer diese Codes mit dem Handy einscannt, landet auf einer Gedenkseite. Dort sind Fotos oder Videos des Toten zu sehen, es gibt virtuelle Kondolenzbücher oder virtuelle Kerzen, die angezündet werden können. Diese Erinnerungen sollen Generationen überdauern, sagt Platonov, Geschäftsfüher des Münchner Projekts „VorfahrQR“. Er stellt fest, dass das Interesse an diesem Angebot größer wird. Dafür hat er auch eine Erklärung: „Menschen, die einen Friedhof besuchen, möchten nicht nur Namen, Geburts- und Sterbedaten sehen – sondern auch eine emotionale Verbindung zu einem Verstorbenen spüren. Das Gesicht, das Lächeln oder die Stimme.“

Auf den Münchner Friedhöfen sind QR-Codes auf Gräbern seit zehn Jahren erlaubt. Einer der Ersten, der diese Möglichkeit genutzt hat, war Anton Stuckenberger. Er ließ für seine Mutter eine Gedenkseite einrichten – mit Fotos, Informationen über ihr Leben und einigen persönlichen Erinnerungen. Wer den QR-Code auf dem Grabstein einscannte, gelangte direkt dorthin. „Unsere Verwandtschaft ist weit verstreut“, erzählt der 63-Jährige. Für einige war die Gedenkseite eine schöne Möglichkeit, um zumindest virtuell eine Kerze für seine Mutter anzuzünden. Inzwischen gibt es diese Seite nicht mehr. „Leider“, sagt Stuckenberger. Denn die Sache mit dem QR-Code sei schon eine geniale Erfindung gewesen.

Noch werde diese Möglichkeit in München aber eher vereinzelt genutzt, berichtet die Stadt. Aber es gibt in Bayern nicht wenige Steinmetze, die diesen Service anbieten, berichtet der stellvertretende Landesinnungsmeister Markus Steininger. „Angefangen hat das in Nürnberg mit der Initiative eines Steinmetzes.“ Die Kosten dafür können stark variieren – je nachdem, was sich Angehörige wünschen. Das beginne bei 100 Euro für einen QR-Code auf einer Alu-Platte, die auf den Stein geklebt wird. QR-Codes, die gestalterisch in Grabmäler eingearbeitet sind, können rund 1000 Euro kosten. Technisch sei das dank Lasern nicht schwer, erklärt er. Aber die Friedhöfe müssen QR-Codes auf Grabsteinen erlauben.

Den Wunsch nach mehr Individualität spüren die Steinmetze ganz deutlich. „Die Nachfrage nach christlichen Symbolen auf den Grabsteinen hat stark nachgelassen“, sagt Steininger. Dafür gibt es immer mehr Wünsche, die Grabsteine persönlicher machen sollen: Hobbys oder Berufe fließen ein. Statt eines Engels thront dann zum Beispiel ein Segelflugzeug auf einem Grabstein.

Diesen Trend beobachten auch Thorsten Benkel und Matthias Meitzler. Die beiden Soziologen aus Passau und Tübingen befassen sich seit vielen Jahren mit dem Wandel der Trauerkultur und haben dafür rund 1300 Friedhöfe in 26 Ländern besucht. Die ersten QR-Codes an Grabsteinen haben sie vor etwa zehn Jahren in Nürnberg entdeckt. Gleichzeitig beobachten sie, dass immer mehr virtuelle Friedhöfe entstehen: private Trauerseiten, auf denen per Mausklick eine Kerze angezündet oder in Kondolenzbücher geschrieben werden kann. „Trauer spielt sich zunehmend im virtuellen Raum ab“, sagt Benkel. Und QR-Codes bieten den Hinterbliebenen mehr Möglichkeiten. „An einem Grabstein kann man in der Regel nicht mehr viel verändern, ohne dass es teuer und kompliziert wird“, erklärt Meitzler. „Aber eine Trauerseite kann man immer wieder umgestalten.“

Die beiden gehen davon aus, dass dieser Trend künftig größer wird – auch durch Künstliche Intelligenz werde es immer mehr Möglichkeiten geben. Bis hin zu Avataren von Toten. Die Bedeutung von Gräbern hingegen nehme mehr und mehr ab. Auch weil viele Angehörige nicht mehr an dem Ort leben, wo sich ein Grab befindet. Oder weil immer mehr Menschen ihr Leben nicht mehr an nur einem Ort verbringen. „Das Internet ist die Antwort auf Mobilität“, sagt Meitzler.

Die beiden Soziologen beobachten, dass die christliche Symbolik in der Trauerkultur eine immer kleinere Rolle spielt. Das wird durch virtuelle Gräber, bei denen viel stärker mit Bildern gearbeitet werden kann, verstärkt. „Die Vielfalt ist sehr groß geworden“, sagt Benkel. Alles, was mit Bedeutung aufgeladen werden kann, könnte zu einem Symbol auf einem Grabstein werden. Gräber, an denen neben dem Kreuz zum Beispiel eine E-Gitarre prangt, wird es immer häufiger geben. Die beiden haben schon viel Kurioses auf Friedhöfen entdeckt. Bei einem Grab mit QR-Code würden sie immer stehen bleiben, sagen sie. „Noch ist das eine Besonderheit“, sagt Meitzler. Aber die beiden Experten sind überzeugt: Auch beim Trauern werden analoge und digitale Welt immer stärker miteinander verschmelzen.

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