Gefängnisse sind „Schlangengruben“

von Redaktion

Skandal in der JVA Gablingen: Anwälte der Vize-Chefin werfen Politikern Untätigkeit vor

Ein Polizeiauto steht am Haupteingang der Justizvollzugsanstalt (JVA). Dort sollen angeblich Insassen misshandelt worden sein. © Karl-josef Hildenbrand/dpa

Die Anwälte der suspendierten stellvertretenden Leiterin der JVA Gablingen. © dpa

München – Die Vorwürfe gegen Mitarbeiter der Justizvollzugsanstalt Gablingen bei Augsburg sind massiv. Häftlinge sollen in besonders geschützten Hafträumen (BgH) misshandelt worden sein. Die Augsburger Staatsanwaltschaft ermittelt gegen 16 Mitarbeiter. Im Fokus aber steht die Vize-Leiterin, auch wenn ihre Anwälte bislang keine Akteneinsicht haben und daher die exakten Vorwürfe nach eigenen Angaben nicht kennen. Nun gehen die drei Verteidiger in die Offensive. Bei einer Pressekonferenz in München warfen die Anwälte der Politik und Justizminister Georg Eisenreich (CSU) vor, nichts gegen Probleme im Strafvollzug zu tun. „JVA sind Schlangengruben“, sagte Anwalt Holm Putzke.

Die Verteidiger zählten Beispiele auf, wie es in bayerischen Gefängnissen zugeht. Dass dort viele psychisch kranke und drogensüchtige Insassen untergebracht seien. „Die müssten in die Bezirkskrankenhäuser, aber da haben sie keine Kapazitäten“, sagte Putzke. Die Politik wisse von den Problemen, unternehme aber nichts. „Man nimmt das so hin.“ Teilweise kommt es zu dramatischen Szenen: Ein Häftling habe sich mit den Fingernägeln die Pulsadern aufgeschnitten, ein anderer habe sich den Enddarm herausgerissen. Ein Häftling hatte sich mit der Papierunterhose, die Insassen eines BgH zusteht, erstickt, indem er sie verschluckte. Er starb – gegen die JVA-Mitarbeiter wurde ermittelt. Nach diesem Vorfall habe man in vielen Einrichtungen keine Einweghosen mehr verteilt, sagte Anwalt Alexander Stevens. Um dieses Detail dreht sich einer der Vorwürfe gegen seine Mandantin: In Gablingen hätten Insassen tagelang nackt in der Zelle ausharren müssen.

Die Verteidiger zeichnen von ihrer Mandantin ein ganz anderes Bild als bisherige Berichte, in denen ihr ehemalige Mitarbeiter vorwerfen, ein Klima der Angst verbreitet zu haben, sodass viele psychologische Betreuung bräuchten. Der Strafvollzug sei „ihr Ein und Alles“, sie sei sehr diensteifrig. Als sie Anfang 2023 mit 36 Jahren nach Gablingen gekommen sei, habe eine geordnete Übergabe der Dienstgeschäfte nicht stattgefunden. Laut Anwälten war die JVA-Leiterin seit 2015 fast ausschließlich im Homeoffice, in der Regel sei sie an maximal zwei Tagen ab 17 Uhr kurz ins Gefängnis gekommen. Getroffen hätten sich die beiden wenige Stunden im Monat – die Beschuldigte habe um 6 Uhr mit ihrer Arbeit begonnen. Dennoch habe die Vize-Chefin alle Maßnahmen mit der Leiterin besprochen, es lägen hunderte Mails vor. Gegen die Leiterin wird nicht strafrechtlich ermittelt, laut Justizministerium laufen dienstrechtliche Ermittlungen.

Dafür war das Aufgabengebiet der Stellvertreterin laut ihren Anwälten enorm. Sie sei für 500 Insassen und 200 Mitarbeiter umfänglich verantwortlich gewesen. „Sie war mit ihren jungen 36 Jahren Mädchen für alles“, sagte Anwalt Thomas Krimmel. Sie habe viele Dinge neu angestoßen, auch das Bewertungssystem der Mitarbeiter habe sie umstrukturiert. „Damit ist sie vielen auf die Füße getreten“, sagte Krimmel. Was die Anwälte mehrfach betonten: Sie sehen ihre Mandantin auch von Justizminister Eisenreich ungerecht behandelt. Bei einer Anhörung im Rechtsausschuss des Landtags hatte der CSU-Politiker berichtet, dass die Zahl der Beschwerden und auch die Zahl der Unterbringungen in den BgH nach Amtsantritt der Vize-Chefin gestiegen seien. Das habe aber Gründe, zum Beispiel seien in der Zeit vermehrt besonders aggressive oder gefährliche Häftlinge aus ganz Deutschland nach Gablingen gebracht worden.

Eisenreich hatte auch Mängel eingeräumt. Er sieht insbesondere das bisherige System der Überwachung von den Haftanstalten als unzureichend an. Er kündigte Änderungen an und versprach eine „rückhaltlose Aufklärung“ mit Nachdruck.
CARINA ZIMNIOK

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