Auslieferer und Ausbilder: Ali wird von Felice angelernt.
Sein liebster Zwischenstopp: Gudrun Huf nimmt für die Nachbarn Pakete an. Für Felice hat sie Marmelade gemacht.
Er liefert bis an die Hautür: Felice Iannone ist seit 36 Jahren DHL-Bote in München. © Marcus Schlaf (3)
München – Noch bevor er den Paket-Turm auf der Sackkarre gestapelt hat, nimmt sich Felice Iannone Zeit für ein Lächeln. Oben am Fenster steht Gudrun Huf und winkt ihm zu. Sie hat schon auf ihn gewartet – obwohl sie nie etwas bestellt. Gudrun Huf ist 79, fast immer zu Hause und freut sich, wenn es an ihrer Tür klingelt. Ganz besonders, wenn es ihr Lieblings-DHL-Bote ist. Deshalb nimmt sie nur zu gern für alle Nachbarn Päckchen entgegen. So ist schon mal sicher, dass Felice auf jeder Tour kurz bei ihr Halt macht und mit den Kartons auch eine Portion gute Laune abliefert. Wenn das zur Mittagszeit passiert, serviert ihm Gudrun Huf ihre legendären Pfannkuchen. In der Weihnachtszeit darf er die Plätzchen kosten. Und hin und wieder hat sie ein Glas selbst gekochte Marmelade für ihn.
„Darf ich dir was für den Nachbarn dalassen?“, fragt Felice Iannone. Die Frage stellt er jedes Mal – obwohl er ja weiß, dass er sich auf Gudrun Huf verlassen kann. Es spart ihm viel Zeit, dass er hier in dem Haus, in dem alle so selten zu Hause sind, nur an einer Tür klingeln muss. Und Zeit ist für jeden Paketboten ein fast so wertvolles Geschenk wie die leckere Himbeer-Marmelade.
Auf seiner Tour hat Iannone 170 bis 200 Pakete im Wagen, die bis abends zugestellt werden müssen. Morgens holt er sie in der Zustellbasis ab, die ersten beiden Straßen auf seiner Route sortiert er vor, der Rest wird im Lieferwagen nach hinten geschoben. „Sonst komm ich ja nie los“, sagt er und lacht sein Felice-Lachen, das ihm Lachfalten um die Augen zaubert. Die Monate November und Dezember sind die anspruchsvollste Zeit im Jahr für jeden Paketboten. Rabattaktionen wie Black-Friday oder Cyber-Week füllen ihm den Transporter – und vor allem die Adventszeit. Deshalb stellt die Post zum Jahresende 10 000 Aushilfen ein. Die müssen aber erst angelernt werden. Deshalb hat Felice Ali an seiner Seite. Und der hat schnell gemerkt, dass er mit einem Paketboten unterwegs ist, der im Bahnhofsviertel jeden kennt. Die Müllmänner, die Schornsteinfeger, die Restaurantbesitzer – und natürlich die Menschen hinter den Haustüren.
Gerade nähert er sich mit seiner vollbeladenen Sackkarre einem Mehrfamilienhaus bei der Hackerbrücke. Auch hier hat Iannone jemanden, auf den er zählen kann. Sascha – ein Lufthansa-Pilot. „Wenn er nicht im Himmel ist, nimmt er für alle Nachbarn die Pakete an.“ Aber erst muss Iannone rausfinden, wer zu Hause ist und wer einen Wunschablageort angegeben hat. Dabei hilft ihm sein Scanner, der ihm mit dem typischen DHL-Piepson alle Daten ausspuckt, die er braucht. Vor 36 Jahren, als Iannone bei der Post anfing, ist er noch mit Notizbuch und Stift ausgerückt. „Aber damals waren es auch viel weniger Pakete.“
Dann beginnt das Klingeln. „Leider geht kaum noch jemand an die Sprechanlage.“ So weiß er nie, wer ihm die Tür geöffnet hat und in welchen Stock er fahren oder laufen muss. Im zweiten Stock kommt ihm schon Pilot Sascha entgegen, um ihm Pakete abzunehmen. Die beiden begrüßen sich mit Umarmung. Nach so vielen Päckchen ist der Grundstein für eine Freundschaft gelegt. Bei Sascha wird Felice einen Großteil seiner Pakete los. Dann geht‘s weiter zur nächsten Tür. Der 53-Jährige liebt seinen Beruf. Obwohl es ein Knochenjob ist: schwer heben, viele Treppenstufen, viele verschlossene Türen. „Als Zusteller schläft man gut.“ Auf die Müdigkeit am Abend kann er sich verlassen. Hin und wieder verliert er einige seiner Helfer. „Viele wollen keine Pakete mehr für Nachbarn annehmen, weil es oft lange dauert, bis sie abgeholt werden.“ Obwohl es für ihn Alltag ist, hat er den Paket-Wahnsinn nie so recht verstanden. „Ich habe noch nie etwas bestellt. Es gibt doch nichts Schöneres, als in einen Laden zu gehen und mit dem Verkäufer zu sprechen.“ Die meisten mögen es lieber bequem. Ist ihm recht. Angst um seinen Arbeitsplatz muss er jedenfalls nicht haben.
Seine letzte Station ist die Postfiliale, in der er die Pakete abliefert, die er nicht zustellen konnte. Vorher steht noch ein Wohnhaus an. Eine ältere Damen ist nicht zu Hause. „Ich versuch‘s morgen noch mal“, sagt er. „Ihr kann ich nicht zumuten, dass sie bis zur Filiale muss.“ Auf dem Rückweg kommt er an einer Haustür vorbei, an der eine Botschaft für ihn hängt. „Lieber Felice, wir würden uns freuen, wenn du bei uns klingelst.“ Felice lächelt sich seine Lachfältchen um die Augen, während er auf die Klingel drückt. Ruth öffnet, sie mag Felice genauso gern wie ihr kleiner Sohn. „Könntest du ein Päckchen von mir mitnehmen?“, fragt sie. Es ist schon mit Weihnachtsstickern beklebt. Felice Iannone nimmt es gerne mit zur Post. Nicht nur, weil er Ruth und ihre Familie mag. „Wir DHL-Boten sind um jedes Päckchen dankbar, dass nicht erst kurz vor Weihnachten verschickt wird.“