Integrationshilfe auf Augenhöhe

von Redaktion

Nicht nur Formulare erklärt und übersetzt Maryam Alizadeh den Menschen, die in die TOP-Beratungsstelle kommen. © GRONAU

Weilheim/Schongau – Maryam Alizadeh hat ein Lieblingssprichwort in der deutschen Sprache: Ohne Fleiß kein Preis. „Wenn man eine Chance bekommt, muss man sich auch anstrengen“, findet sie. Die 26-Jährige ist vor neun Jahren aus ihrer Heimat Afghanistan nach Bayern geflüchtet. Sie hat ihre Chance genutzt, konnte sich im Landkreis Weilheim-Schongau ein neues Leben aufbauen. Aber sie hat auch nie vergessen, wie viel Hilfe damals nötig war, damit ihr das gelingt. Dafür ist Maryam Alizadeh noch heute dankbar.

Deshalb verbringt sie zwei Nachmittage pro Woche damit, Flüchtlingen, die neu in Deutschland ankommen, bei den ersten Schritten zu helfen. Für deutsche Sprichwörter ist da natürlich kein Platz. Die Menschen, die in die Beratungsstelle in Weilheim kommen, können meist noch kaum ein Wort Deutsch. Sie sind überfordert mit Briefen von Behörden, Formularen der Krankenkasse und manchmal einfach damit, dass sich alles fremd anfühlt. Maryam Alizadeh kann sich noch gut an dieses Gefühl der Hilflosigkeit erinnern. Sie war 17, als sie mit ihrem Mann und ihrem Bruder hier ankam. Hinter sich hatte sie eine lebensgefährliche Fahrt über das Mittelmeer, vor ihr lag große Ungewissheit. Sie war erst seit wenigen Tagen in der Flüchtlingsunterkunft, als sie erfuhr, dass sie schwanger ist. „Meine Familie war so weit weg, ich konnte mit niemandem richtig darüber sprechen.“ Bei den Arztterminen verstand sie kaum ein Wort. 2015 war Deutschland nicht vorbereitet, auf die vielen Menschen, die kamen. Es gab noch keine Beratungsstellen für Flüchtlinge und viel zu wenige Dolmetscher.

Maryam Alizadeh hatte damals Glück. Sie lernte Helfer kennen, die ihr zur Seite standen. Mit ihnen ist sie heute noch befreundet. Bayern ist für sie eine neue Heimat geworden. Sie hat eine Aufenhaltserlaubnis bekommen, eine Wohnung gefunden, in der sie mit ihrem Mann und den inzwischen drei Kindern lebt. Aber sie hat nie vergessen, wie wichtig die Hilfe für sie war.

„Ich will etwas zurückgeben“, sagt sie. Deshalb hat sie sich zur Kulturdolmetscherin ausbilden lassen. Und als sie vor anderthalb Jahren erfuhr, dass in Weilheim eine Erstanlaufstelle aufgebaut werden soll, in der Migranten ehrenamtlich als Integrationshelfer arbeiten können, hat sie sich sofort gemeldet. Seit vergangenem Sommer kommt sie zweimal pro Woche in die Beratungsräume. TOP heißt das niedrigschwellige Angebot, das die Helfer von Asyl im Oberland, der Diakonie und der Caritas etabliert haben. TOP steht für Teilhabe, Orientierung und Perspektiven. Das Angebot soll die Beratungsstellen, die es in allen bayerischen Landkreisen gibt, entlasten. „Es geht uns darum, den Menschen, die neu ankommen, eine erste Orientierung zu geben“, erklärt die Initiatorin Ingeborg Bias-Putzier. Die Gespräche finden auf Augenhöhe statt – mit Menschen, die vor einigen Jahren in der gleichen Situation waren. „Für viele ist das ein Ansporn, es selbst auch zu schaffen, sich hier etwas Neues aufzubauen“, erklärt sie. Die Helfer sind dafür qualifiziert worden. „Es geht um Hilfe zur Selbsthilfe.“

Das Angebot wird gut angenommen, berichtet Bias-Putzier. So gut, dass es seit Kurzem auch in der Schongauer Altstadt einen TOP-Standort gibt. Die Diakonie München und Oberbayern hat Räume in dem Gebäude angemietet, in dem das Bildungskolleg und das Kolping-Bildungswerk Deutschkurse anbieten. Außerdem gibt es dort auch ein therapeutisches Angebot für Geflüchtete, eine Beratungsstelle für jugendliche Migranten und ein Café der Kulturen. Auch einheimische Kunstschaffende bringen sich mit Angeboten ein. „Es ist ein richtiges interkulturelles Begegnungszentrum geworden“, sagt Bias-Putzier. Auch viele Einheimische würden dort hinkommen. Und es gibt eine Kooperation mit dem Altenheim nebenan. Jeden Sonntag servieren dort zwei Migranten den Senioren Kaffee und Kuchen. Das kommt gut an, berichtet sie.

Den Bedarf gäbe es auch in anderen Regionen, davon ist sie überzeugt. Erst neulich ist eine Anfrage aus Penzberg auf ihrem Schreibtisch gelandet. Bias-Putzier ist froh, dass die Diakonie die Förderung dieses Projekts auch für das kommende Jahr zugesagt hat. „Integration gelingt viel öfter, als es in der öffentlichen Debatte dargestellt wird.“ Das TOP-Projekt sei ein Beweis dafür.

Maryam Alizadeh übersetzt nicht nur und erklärt, wie die Behörden in Deutschland arbeiten. Sie berichtet den Asylbewerbern oft von ihren ersten Tagen in Bayern. Ohne zu beschönigen. „Es ist wichtig, ehrlich zu sein“, findet sie. „Man muss sich anstrengen und etwas aus der Chance machen, die man hier bekommt.“ Das ist ihre Botschaft. Es macht sie traurig, wenn sie die Nachrichten aus ihrer Heimat hört. Und ist dankbar, dass Deutschland sie aufgenommen hat. „Dass meine Kinder hier eine Ausbildung machen und wir ohne Angst leben können.“

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