Abstimmen streng verboten!

von Redaktion

Befangener Gemeinderat: Kurioses aus Bayerns Rathäusern

München – Was vorige Woche in Türkenfeld bei Fürstenfeldbruck los war, ist ein Paradestück über Irrungen und Wirrungen der bayerischen Dorfpolitik. Der Gemeinderat wollte einen Bebauungsplan ändern, damit dort mehr Häuser und Wohnungen gebaut werden können. Doch es gab ein Problem: Die Siedlung, um die es geht, ist so groß, dass mehr als die Hälfte der Ratsmitglieder oder nahe Verwandte dort wohnen. Auf Amtsdeutsch heißt das: Sie sind befangen – und durften nicht abstimmen. Also raus, vor die Tür. Nur saßen dann nur noch acht Gemeinderäte am Tisch. Zu wenige für eine Abstimmung. „Das ist fast schon eine Schildbürgerposse“, sagte Bürgermeister Emanuel Staffler.

Vor allem in kleineren Orten ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass ein Kommunalpolitiker über Dinge entscheiden muss, die ihn selbst betreffen. Grundstücksangelegenheiten, Straßenbau zum Beispiel, oder der Zuschuss für einen Verein, in dem man Vorstand ist. Manchmal werden Kommunalpolitiker durch Beschlüsse auch reich: Der Bürgermeister von Unterföhring (Kreis München) zum Beispiel verkaufte 2022 ein Grundstück, auf dem das größte Wohnbauprojekt der Gemeinde mit 700 Wohnungen für 1500 Menschen entstehen soll. Aber wie verhindert man, dass persönliche Interessen das Abstimmungsverhalten beeinflussen?

Auch der Bayerische Gemeindetag kennt die Problematik. „Diese Fälle kann es immer wieder geben, vor allem bei Bausachen“, sagt Direktor Hans-Peter Mayer. Befangenheit liegt vor, wenn sich ein Gemeinderatsmitglied möglicherweise von privaten Motiven beeinflussen lassen könnte, also wenn der Beschluss ihm oder einem Angehörigen einen unmittelbaren Vorteil oder Nachteil bringen kann. So steht es in der Gemeindeordnung, Artikel 49. „Es ist gar nicht immer so einfach herauszufinden, ob jemand befangen ist“, sagt Mayer. Ist zum Beispiel ein Unternehmen von einer politischen Entscheidung betroffen, darf ein normaler Mitarbeiter abstimmen, ein zeichnungsberechtigter nicht. Und wer weiß schon, mit wem ein Gemeinderat verwandt oder verschwägert ist? „In der Regel muss die Person das anzeigen“, sagt Mayer.

Steht eine Befangenheit fest, gibt es Regeln. Der Bürgermeister von Unterföhring ging bei Abstimmungen über das Baurecht auf seinem Grundstück immer vor die Tür, sein Stellvertreter übernahm die Sitzungsleitung. In Türkenfeld wandten sie sich an die Kommunalaufsicht im Landratsamt. Die Lösung: Aus nicht befangenen Ratsmitgliedern soll ein beschließender Ausschuss mit fünf Mitgliedern plus Vorsitz gebildet werden, der die Bebauungsplanänderungen umsetzt. Nur ist das auch nicht einfach: Damit der Ausschuss dem Wählerwillen entspricht, muss auf die Parteiverteilung geachtet werden. Je ein Sitz wird von den Freien Wählern, den Grünen und der Dorfgemeinschaft besetzt, zwei von der CSU – davon allerdings nur einer aus den eigenen Reihen, da nur ein CSU-Ratsmitglied nicht persönlich beteiligt ist. In der Sitzung am Montagabend sollte die CSU daher einen Gemeinderat aus einer anderen Fraktion bestimmen, der für sie abstimmt.

Manchmal gibt es auch keine Lösung. In Seefeld (Kreis Starnberg) hörte 2021 ein Gemeinderat wegen zunehmenden Überschneidungen zwischen privaten und gemeindlichen Interessen auf. Der Sägewerksbesitzer hatte angekündigt, dass sein Betrieb, den er damals schon an seinen Sohn übergeben hatte, expandiert. Dafür musste die Familie Grundstücke kaufen. „Wenn wir die Fläche dann bekommen, wird es heißen, ich hätte sie uns zugeschanzt“, sagte der Gemeinderat. Also gab er sein Mandat ab, nach 25 Jahren.
ULRIKE OSMAN

CARINA ZIMNIOK

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