Der Kalender-König von Egling

von Redaktion

3000 mal 24 Türchen: Siegfried Böhmkes irrer Adventsschatz

Den ersten bayerischen Adventskalender besitzt Siegfried Böhmke. Er stammt aus dem Jahr 1908. © Sabine Hermsdorf-Hiss (2)

Egling – Umgeben von einem Teil seiner vielen Schätze, sitzt Siegfried Böhmke am Esszimmertisch. Vor ihm liegen etwa 15 Adventskalender aus Papier und ein schwarzer Ordner. Der Mann aus Egling im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen sammelt die Kalender. Mit über 3000 Stück besitzt er wohl eine der weltweit größten Adventskalendersammlungen. Sie eröffnet ihm eine Reise in längst vergangene Zeiten.

Böhmkes Blick schweift über den ausgebreiteten Teil seiner Sammlung. Am liebsten sind dem Intendanten des Münchner Marionettentheaters alte Modelle, etwa aus den 50er-, 60er- und 70er-Jahren. „Die find ich traumhaft schön“, schwärmt er. „Stundenlang könnte ich mir die lieblichen Motive anschauen.“ Seine Exemplare bewahrt er fein säuberlich sortiert in Ordnern auf. Einen davon öffnet er behutsam. „Das ist eine meiner Schatztruhen.“

Die Kalender darin sind in Klarsichtfolien verpackt. Mit ihnen verbindet er Erinnerungen an seine Kindheit. Böhmke wuchs in einfachen Verhältnissen auf. Trotzdem bekam er seit seinem fünften Lebensjahr von den Eltern immer einen Adventskalender. „Später wurden die mit Schokolade immer beliebter, aber an denen war ich nie wirklich interessiert. Ich wollte einen mit schönen Bildern“ – selbst noch als 15-Jähriger. „Vor meinen Mitschülern musste ich das natürlich geheim halten“, gesteht er und seine Augen blitzen spitzbübisch. „Da wäre ich ausgelacht worden.“ Wenn er heute einen Kalender mit Schokolade ergattert, entfernt er sie vorsichtig.

Im Freistaat erschien der erste Adventskalender 1908 in München. Hergestellt wurde er in der Lithographischen Kunstanstalt Reinhold&Lang. „Das war die Geburtsstunde des Adventskalenders.“ Ein genau solches Exemplar besitzt Böhmke, wie er stolz zeigt. Allerdings war das Konzept ein anderes als heute: Die Grundlage bildete ein Blatt Papier mit 24 Bibelsprüchen. Jeden Tag durften die Kinder eines der weihnachtlichen Bildchen aus dem umliegenden Rahmen ausschneiden und auf einen der Sprüche kleben. An Heiligabend besaßen sie ein Bild mit 24 Weihnachtsmotiven.

Den ersten Kalender mit Papierfenstern, „Christkindleins Haus“ hieß er, druckte die Lithographischen Anstalt um 1920. Auch ihn ersteigerte der Eglinger auf einer Auktion. Vorsichtig holt er den Kalender aus der Klarsichtfolie und fährt mit dem Finger darüber. „Dass der all die Jahrzehnte überlebt hat, inklusive zwei Weltkriegen“, murmelt er vor sich hin. „Den müssen Kinder wohl gut versteckt haben.“ Genauso wie Böhmke. Seine Kalender bewahrte er als Bub in seiner Spielzeugtruhe auf. „Einmal hat meine Mutter einen weggeschmissen, das war vielleicht ein Drama“, erzählt er und lacht. Jahrzehnte später ersteigerte er das verloren gegangene Exemplar im Internet.

Mit dem Sammeln begann er vor etwa 40 Jahren. Im Laufe der Zeit wuchs seine Kollektion – und mit ihr Böhmkes Interesse an der Historie des Adventskalenders. Er las sich ein. „Ich wollte nicht nur die Bilder auf den Kalendern anschauen, sondern die Geschichte dahinter kennen.“ Inzwischen hat er sein Sortiment etwas reduziert. „Irgendwann besaß ich über 3000 Stück. Da hab ich mich gefragt: Junge, was machst du denn damit?“

Trotzdem streift er Jahr für Jahr durch die Geschäfte und schaut sich die Kalender an. Gefällt ihm einer besonders gut, schlägt er zu. Doch nicht alle Entwicklungen auf dem Markt gefallen ihm. „Ob Schmuck, Kosmetik oder mit dem FC Bayern: Es ist ja Wahnsinn, was es inzwischen für exklusive Kalender gibt. Da geht es nur noch um Show und Vermarktung.“ Mit dem Ursprungsgedanken, ungeduldigen Kindern mit Kleinigkeiten die Zeit bis Heiligabend zu verkürzen, hat das in seinen Augen nicht mehr viel zu tun.

Gleichzeitig beobachtete Böhmke zuletzt, dass Kalender-Replikate – Nachbildungen von Originalen – wieder öfter in Schaufenstern zu sehen sind. Einen solchen hat er sich heuer selber zum Öffnen gekauft. „Adventskalender sind für mich lauter unendliche kleine Freunden meiner Kindheit.“ Siegfried Böhmke wirft noch einen Blick auf den Ordner, dann verfrachtet er ihn zurück ins Regal – bis zum nächsten Erinnerungsschwelgen.
FRANZISKA KONRAD

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