„Integration ist kaum noch möglich“

von Redaktion

130 Menschen demonstrierten am Sonntag gegen die geplante Asylunterkunft in Bairawies. © Ewald Scheitterer

Dietramszell – „280 Einwohner, 130 Flüchtlinge?“ steht auf einem der Banner, das einige der Teilnehmer für die Protestaktion gebastelt haben. 180 Menschen haben am Sonntag in Dietramszell (Kreis Bad Tölz-Wolfratshausen) gegen eine geplante Container-Siedlung für knapp 130 Flüchtlinge demonstriert. Eine hohe Quote für den 280-Einwohner-Ortsteil Bairawies, wo die Unterkunft entstehen soll. Als die Pläne bekannt wurden, hatte sich der Verein „Bairawies Aktiv!“ gegründet. Der Ort sei zu klein für so viele zusätzliche Menschen, argumentieren die Mitglieder. Auch der Bauausschuss des Gemeinderats hatte die Pläne abgelehnt. Doch das Landratsamt könnte sich darüber hinwegsetzen. Deshalb der lautstarke Protest.

Dietramszell ist kein Einzelfall. In einigen Regionen brodelt es gerade. Auch in Waakirchen (Kreis Miesbach) versuchen Gemeinderat und eine neu gegründete Bürgerinitiative, eine Unterkunft für 150 Flüchtlinge zu verhindern. Auch dort könnte das Landratsamt trotz massiven Protests grünes Licht geben. Ein paar Kilometer weiter, in Baierbrunn im Kreis München, will der Gemeinderat mit einem Ratsentscheid abstimmen, ob auf dem Wirthsfeld eine Unterkunft für bis zu 72 Geflüchtete entstehen soll. Damit wolle man „Frieden im Dorf“ wiederherstellen und „ruhige Tage an Weihnachten“ verbringen können, sagte Bürgermeister Patrick Ott (ÜWG). Ohne den Ratsentscheid in gut zwei Wochen hätte die Bürgerinitiative aber wahrscheinlich einen Bürgerentscheid eingeklagt. 650 Bürger hatten schon dafür unterschrieben.

In Rott am Inn tobt seit Monaten ein Kampf zwischen Gemeinde und Landratsamt. Die Bürgerinitiative „Rott rot(t)iert“ ist bis vor den Petitionsausschuss des Landtags gezogen, um eine im Gewerbegebiet geplante große Erstaufnahmeeinrichtung zu verhindern. Bis zu 500 Geflüchtete will der Landkreis dort unterbringen und so zwei seit Jahren belegte Turnhallen freibekommen. Eine kleine Gemeinde könne das nicht stemmen, argumentierte die BI. Wegen des massiven Protests wurden aus 500 dann 300. Der Petitionsausschuss erkannte die Argumente der Bürger an und empfahl dem Landratsamt das Angebot der Kommunen Rott und Bruckmühl, je 180 Flüchtlinge aufzunehmen, zu akzeptieren. „Wir sind offen für Gespräche“, sagte Bürgermeister Daniel Wendrock nach der Entscheidung. Wie es in Rott weitergeht, ist aber immer noch offen. Der Ausschuss hat das Anliegen nun ans Innenministerium weitergeleitet.

Bei all den Protesten geht es nicht nur um die Unterbringung der Geflüchteten – sondern auch um die Integration, die die Kommunen stemmen müssen. Und die fordert auch die Städte und Gemeinden, in denen nicht protestiert wird, nach wie vor enorm. Das ist eines der Ergebnisse einer Befragung des Instituts für Demokratische Entwicklung und Soziale Integration (DESI). Fast die Hälfte der 567 befragten Landkreise und Kommunen in Deutschland bezeichnet die Flüchtlingsunterbringung als „herausfordernd, aber machbar“. Rund ein Drittel sieht sich „am Limit“ und „im Krisenmodus“, wie DESI-Geschäftsführer Frank Gesemann gestern berichtete. Als größte Herausforderung nannten die meisten Kommunen die Situation auf dem Wohnungsmarkt. Meist würden die Geflüchteten in angemieteten Privatwohnungen oder kommunalen Wohnungen untergebracht – gefolgt von Gemeinschaftsunterkünften und Wohncontainern, hatten die Kommunen angegeben. Sporthallen oder Zelte kämen inzwischen nur noch sehr selten zum Einsatz. Auch die Versorgung mit Integrations- und Sprachkursen stellt die Städte und Gemeinden vor Probleme. Ebenso die gesundheitliche Versorgung und psychosoziale Betreuung der Geflüchteten.

Die Fragen waren teils bewusst offen gestellt. Ein bayerisches Landratsamt schrieb an das Institut: „Integration ist kaum mehr möglich, es fehlen ehrenamtliche Asylbetreuer, da die früheren wegbrechen und kaum neue dazu kommen. Es geht nur noch darum, ein Dach über dem Kopf zu beschaffen. Die Anmietung neuer Unterkünfte wird immer schwieriger, weil die Widerstände aus der Nachbarschaft stärker werden. Wir werden überschwemmt mit Beschwerdeschreiben – zunehmend unverblümt mit der Drohung, AfD zu wählen, wenn die Unterkunft kommt.“
KWO/JM/AW/AK

Artikel 2 von 11