Bayerische Klöppel für Notre-Dame

von Redaktion

Bei der Wiedereröffnung Notre-Dames am Wochenende werden erstmals wieder die Glocken ertönen. © epd

Er ist stolz auf den Beitrag seines Unternehmens für Notre-Dame: Geschäftsführer Martin Wensauer.

Der Hammerschmied Christian Kirschner fertigt einen Glockenklöppel. Auch zwei Klöppel für Notre-Dame kamen aus dem Betrieb in Anzenkirchen. © Armin Weigel/dpa (2)

Anzenkirchen/Paris – Wenn bei der Wiedereröffnung der Kathedrale Notre-Dame in Paris am Wochenende die Glocken erklingen, dann tun sie das mit Handwerkskunst aus einer Hammerschmiede in Niederbayern. Der Familienbetrieb aus Anzenkirchen im Landkreis Rottal-Inn hat zwei neue Klöppel gefertigt. An diesem besonderen Projekt mitgewirkt zu haben, mache ihn schon stolz, sagt Geschäftsführer Martin Wensauer. Und: Es ist nicht das erste Mal, dass er für Notre-Dame tätig war, erzählt der 47-Jährige.

In den beiden Haupttürmen der Kathedrale gibt es zehn Glocken, zwei im Süd- und acht im Nordturm. Neun davon waren 2013 neu gegossen worden. Die zehnte ist die aus dem Jahr 1685 stammende Glocke namens Emmanuel. Für alle zehn Glocken hatte er 2013 Klöppel herstellen dürfen, berichtet Wensauer. Zum ersten Läuten sei er damals nach Paris gereist.

Das verheerende Feuer im April 2019 überstanden die Glocken. Jedoch mussten die acht aus dem Nordturm ausgebaut und gereinigt werden. Bei zweien war die Aufhängung verformt gewesen. Im Zuge der Erneuerung der Aufhängung hatten für diese beiden Glocken die Klöppel ausgetauscht werden müssen. Schon im Frühjahr hat er die auf Maß gefertigten Stücke ausgeliefert.

Die Hammerschmiede führt Wensauer bereits in vierter Generation. Ein Handwerk, das physikalisches Fachwissen, Geschick, Kraft und auch Gefühl erfordert. Im offenen Feuer liegt ein Stahl-Rohling und wird erhitzt. Die Schmiedetemperaturen liegen zwischen 1200 und 850 Grad. Als der Rohling gelb glühend aus dem Feuer kommt, bildet sich durch den Kontakt mit Sauerstoff an dem Stahl eine schwarze Zunderschicht. Die zwei Schmiede Christian Kirschner und Ami Kolja Märkl bearbeiten den Rohling unter dem mit Strom betriebenen Hammer. Der Block hängt in einer Kettenschlaufe an einem Flaschenzug und wird von Kirschner mit einer Zange gehalten und bewegt. Märkl führt den Hammer, der von oben auf den Rohling schlägt. Der Zunder platzt dabei ab. Wie fest, wie oft und an welche Stelle der Hammer schlägt, sei eine Mischung aus Berechnung, Erfahrung und Gefühl, sagt Wensauer. Nach dem Schmieden wird der Klöppel per Hand mit einem Vorschlaghammer nachbearbeitet. Die Kugel wird zum Schluss auf der Drehmaschine gedreht. „Bei allen Teilbereichen muss die Symmetrie stimmen.“

Form und Gewicht des Klöppels richten sich Wensauer zufolge nach den Maßen der Glocke und würden individuell berechnet. Schließlich müsse der Klöppel die Glocke im richtigen Moment treffen. „Die Glocke schwingt an und dem Trägheitsgesetz folgend fliegt der Klöppel mit. Er hat keinen eigenen Antrieb.“ Das Gewicht des Klöppels liege bei etwa drei bis fünf Prozent des Gewichtes der Glocke. Wichtig sei, einen möglichst weichen Stahl für den Klöppel zu verwenden. Denn beim Anschlag soll möglichst nicht die Glocke verschleißen, sondern lediglich der Klöppel, sagt Wensauer. Der lasse sich einfacher erneuern als eine Glocke. In vielen Kirchen seien die Glocken teils jahrhundertealt und von historischem Wert. In etlichen bekannten Kirchen werden Glocken mit Klöppeln aus seiner Hammerschmiede angeschlagen, wie Wensauer erzählt: in der Thomaskirche und der Nikolaikirche Leipzig, im Ulmer Münster und im Dom zu Speyer.

Nicht nur Handwerker aus Niederbayern haben einen Beitrag geleistet, um Notre-Dame wieder aufzubauen. Der Bamberger Kunstgeschichts-Professor Stephan Albrecht lieferte wichtige Daten. Er hatte mit seinem Forscherteam Teile von Notre-Dame mit Laserscannern dreidimensional erfasst. Direkt nach dem Brand hatten die Wissenschaftler vom Bamberger Kompetenzzentrum für Denkmalwissenschaften und -technologien ihre Hilfe angeboten. Dank der Scans konnte man Stein für Stein nachvollziehen, was durch das Feuer verloren gegangen war. Dafür hatten die Bamberger Vergleichsscans angefertigt. Dabei kamen die Forscher an Partien der Wände und Decken, die jahrhundertelang niemand aus der Nähe untersuchen konnte. So konnten Albrecht und sein Team auf der berühmtesten Baustelle Frankreichs Erkenntnisse über die Gotik erschließen, die ohne den Brand nie möglich gewesen wären. Und die 3D-Daten aus Oberfranken erwiesen sich für den Wiederaufbau Notre-Dames als unglaublich wertvoll.
DPA/MM

Artikel 8 von 11