Der Wolf ist in Bayern wieder daheim. Doch das gefällt längst nicht jedem. © Philipp Schulze
München – Überfahren, bei Pöcking am Starnberger See, im Jahr 2006. Das war das Ende des ersten wilden Wolfs in Bayern seit rund 150 Jahren. Vier Jäger hatten den Kadaver damals entdeckt, spätere DNA-Analysen waren eindeutig: Das Tier kam aus dem italienischen Formazza-Tal und hatte in den zwei Monaten zuvor 250 Kilometer zurückgelegt. Naturschützer frohlockten und Experten waren sicher: Da kommen bestimmt noch mehr.
Oh ja, und zwar aus Ostdeutschland und über die Alpen. Aktuell listet die „Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf“ elf Territorien in Bayern auf. Und die liegen nicht nur in der Rhön oder an der Grenze zu Tschechien, sondern auch am Alpenrand. Das macht vor allem oberbayerischen Landwirten Sorgen, die um ihre Tiere auf den Weiden bangen. Doch jetzt wurden auf EU-Ebene die Regeln für den Abschuss von Wölfen leichter gemacht. Die Tiere gelten künftig nicht mehr als „streng geschützt“, sondern nur noch als „geschützt“. Dafür sprach sich am Dienstag die nötige Zweidrittelmehrheit der Unterzeichnerländer der Berner Konvention aus, wie der zuständige Europarat in Straßburg mitteilte. Das ist die Voraussetzung für eine Änderung der EU-Gesetze. Der Bayerische Bauernverband reagiert erfreut, Umweltpräsident Stefan Köhler spricht von einem „wichtigen Meilenstein“. Bayerns Agrarministerin Michaela Kaniber (CSU) sagte: „Ich bin erleichtert.“ Sie ergänzt: „Das war überfällig.“ Und auch Umweltminister Thorsten Glauber (FW) sagt: „Das ist ein gutes und deutliches Signal für die Weidetierhaltung.“
Nach EU-Angaben hat sich die Zahl der Wölfe in Europa innerhalb von zehn Jahren fast verdoppelt. Die Zahl der in der EU vom Wolf getöteten Nutztiere, meist Schafe und Ziegen, wird auf mindestens 65 500 pro Jahr geschätzt. Sogar Ursula von der Leyens Pony Dolly fiel einem Wolf zum Opfer, eine Notiz am Rande – aber auch die EU-Kommissionspräsidentin sprach gestern von einer „wichtigen Nachricht für unsere ländlichen Gemeinden und Landwirte“.
Der Entscheidung der Berner Konvention ging eine langwierige Debatte voraus. Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) hatte im September ihren Widerstand gegen die Pläne aufgegeben. „Die Bestandszahlen des Wolfes haben sich in den letzten Jahren so entwickelt, dass diese Entscheidung aus Sicht des Naturschutzes verantwortbar und aus Sicht der Weidetierhalter notwendig ist“, hatte Lemke argumentiert. Umweltschützer sehen das naturgemäß anders: „Das war eine falsche und eine rein politische Entscheidung“, sagt Uwe Friedel, Wolfsexperte beim Bund Naturschutz in Bayern. Den Weidehaltern werde vorgemacht, dass sie ihre Tiere mit Bejagung schützen könnten. Dabei funktioniere Herdenschutz nur durch Zäune, Hunde oder Behirtung.
Was bedeutet nun der neue Schutzstatus des Wolfes? Die Details sind noch unklar. In einem weiteren Schritt muss die EU die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie anpassen. Dann ist der Bund am Zug. Bis neue Regeln gelten, könnten also Monate vergehen. Der Bauernverband wünscht sich, dass künftig auch Bestandskontrolle stattfinden kann. Und dass übergriffige Wölfe ohne unnötige Verzögerungen abgeschossen werden können. Im Moment sei es schwierig, eine Genehmigung zu bekommen. Zum einen dauert es oft sehr lange, bis das eindeutige Ergebnis einer DNA-Analyse vorliegt. Zum anderen verhinderten in der Vergangenheit Klagen von Tierschützern geplante Abschüsse. „Ich weiß von mindestens acht Fällen, bei denen das so war“, sagt Stefan Köhler vom Bauernverband.
Eine Ausnahme war ein behördlich genehmigter Abschuss in der Rhön in Unterfranken Ende August – der erste seit 142 Jahren. Dort hatte ein Wolf immer wieder Schafe, Ziegen und andere Nutztiere gerissen, die Schafhalter waren in Aufruhr. Am Ende stellte sich heraus, dass die Jäger, die im Auftrag der Regierung von Unterfranken ausgerückt waren, das falsche Tier erwischt hatten.
CARINA ZIMNIOK