Ein Baum voller Wünsche: Irmgard Volland hängt die Wunschzettel auf. © Walter Weiss (2)
Viele Menschen wünschen sich jemanden, der mit ihnen Zeit verbringt. Zum Beispiel bei einem Spaziergang.
Germering – Für Klara Ulrich (Name geändert) ist das Wünschen eine Herausforderung. Vielleicht, weil sie immer lieber andere beschenkt hat, als selbst Geschenke auszupacken. Aber auch mit 84 kann man sich ja noch auf neue Abenteuer einlassen. Ulrich lebt seit einem halben Jahr im Caritas-Seniorenheim Don Bosco in Germering im Landkreis Fürstenfeldbruck. Dort und in anderen Pflegeeinrichtungen der Stadt werden die Senioren gerade dazu ermutigt, sich etwas zu Weihnachten zu wünschen. Seit 2018 organisiert die AWO einen Wunschbaum. Heime und Pflegedienste sammeln für sie Wünsche ein, die werden aufgeschrieben, an den Baum gehängt – und von Fremden erfüllt.
Klara Ulrich blickt in den grauen Novemberhimmel, während sie überlegt, womit man ihr eine Freude machen könnte. „Vielleicht ein schöner Seidenschal“, sagt sie dann vorsichtig. „Oder ist das zu teuer?“ Die Pflegerin schreibt ihren Wunsch für sie auf. Später wird sie den Zettel an die AWO weitergeben. Und dann dauert es nicht mehr lange, und er hängt an dem Christbaum, der bereits im AWO-Büro aufgebaut ist.
247 Wünsche sind dort bereits eingegangen. Einige Senioren wünsche sich Gutscheine – für einen Friseurbesuch, für eine Drogerie oder für den Supermarkt. Sie sind auf gelben Zetteln notiert. Andere haben ganz konkrete Wünsche. Das Siebenbürgen-Quiz mit über 1100 Fragen zum Beispiel. Eine CD mit klassischer Musik, gerne Mozart, steht auf einem anderen roten Wunschzettel. Und auf dem nächsten: warme Handschuhe, Größe 39. Und dann gibt es noch die vielen orangen Wunschzettel. Auf ihnen sind Wünsche notiert von Menschen, die hoffen, dass sich andere Zeit für sie nehmen. Spielenachmittag, steht auf einem Zettel. Spaziergang auf einem anderen. Und ein älterer Mensch hat sich schlicht „Gesprächszeit (allgemeine Themen)“ gewünscht. Die AWO-Mitarbeiterin Irmgard Volland wird oft nachdenklich, wenn sie diese Wunschzettel aufhängt. Sie kennt weder die Menschen noch die Lebensgeschichten, die hinter diesen Wünschen stecken. Aber es ist offensichtlich, dass viele einsam sind.
Die Idee zu dem Wunschbaum hatte vor sechs Jahren eine Germeringerin. Sie hatte das Bedürfnis, den älteren Bürgern ihrer Stadt zu Weihnachten eine kleine Freude zu machen – weil sie ahnte, dass sich viele wegen einer kleinen Rente nicht viel leisten können. Als die Arbeiterwohlfahrt von der Idee erfuhr, setzte sie sie in die Tat um. Im ersten Jahr hingen 40 Wünsche am Baum. Inzwischen immer weit über 200 – bis jetzt wurden immer alle abgeholt und erfüllt.
Gisela Ott hat von dem Wunschbaum aus der Zeitung erfahren. „Mir tun die Menschen leid, die sich nichts leisten können“, sagt sie. Deshalb ist sie heute ins AWO-Büro gekommen. Sie ist berufstätig, viel freie Zeit hat sie nicht. Aber genug Zeit, um einen Drogerie-Gutschein zu kaufen und ihn in den nächsten Tagen im Büro abzugeben. Bis Mitte Dezember werden dort alle Päckchen, Gutscheine und Kontakte von Menschen, die Zeit schenken möchten, gesammelt. Dann liefert die AWO die Geschenke an die Heime und Pflegedienste – und dort werden sie kurz vor Weihnachten an Menschen wie Klara Ulrich verteilt. „Wenn Mitte Dezember noch Wünsche am Baum hängen, würden wir uns darum kümmern“, sagt Volland. Aber sie ist guter Dinge, dass auch in diesem Jahr keine Zettel übrig bleiben werden.
Auch wegen Menschen wie Vera Monika Eichler und Armin Zipfel. Die beiden kommen jedes Jahr ins Wunschbaum-Büro. Und sie möchten nicht nur einen Wunsch erfüllen – sondern sechs. „Wir machen immer kleine Päckchen und schreiben eine Karte dazu“, sagt Eichler. Einmal hat sie einen Wunschzettel mitgenommen, auf dem sich jemand einen handgestrickten Schal gewünscht hatte. Stricken ist ihre große Leidenschaft. In jede Masche steckte sie damals viel Herz. Dass sie nicht wusste, für wen sie strickt, störte sie nicht. „Ich habe mir einfach eine Person vorgestellt, die ihn sich umwickelt und sich darüber gefreut hat.“
Auch sie und ihr Mann gehören zu den Menschen, die mindestens genauso viel Freude am Schenken haben wie am Beschenktwerden. Genau wie Klara Ulrich. Doch ein bisschen aufgeregt ist die 84-Jährige im Don-Bosco-Heim nun schon. Sollte sie Weihnachten wirklich einen neuen Seidenschal besitzen, wird sie ihn mit Freude und Dankbarkeit tragen. Es kommt schließlich nicht alle Tage vor, dass man von einem völlig Fremden ein Geschenk erhält, das von Herzen kommt.