München – Jeden Tag geben rein rechnerisch 2,5 Milchviehbetriebe in Bayern auf. Auch wenn Bayerns Landwirte in den Jahren 2022 und 2023 wirtschaftlich gute Ergebnisse erzielt haben und Bayern Spitzenreiter in der Landwirtschaft bleibt, macht dieser Trend Agrarministerin Michaela Kaniber (CSU) große Sorgen. „Beim Rückgang in der Nutztierhaltung kann man nicht mehr von einem normalen Strukturwandel sprechen. Wir stehen hier vor einem Strukturbruch“, sagte sie gestern bei der Vorstellung des Agrarberichts vor dem Agrarausschuss des Landtags. Zum ersten Mal in der Geschichte gehe die Zahl der Nutztierhalter in „erheblichem Umfang“ zurück.
Im Berichtszeitraum von 2021 bis 2023 haben über 12 Prozent der Mastschweinehalter, mehr als 13 Prozent der Zuchtsauenhalter und 7,3 Prozent der Milchviehhalter ihre Produktion beendet. Aber nicht wegen mangelnder Wirtschaftlichkeit, sondern wegen fehlender Planungssicherheit durch die Berliner Politik, einer ständigen Verschärfung des Fachrechts, überbordender Bürokratie und fehlenden Vertrauens in die Bundesregierung, so Kaniber. Die viehhaltenden Betriebe verdienten aktuell Geld, im Haupterwerb erzielten sie einen Gewinn von 92 672 Euro, „und trotzdem schließen viele Betriebe ihre Stalltüren für immer“. Viele Bauern würden sich fragen, ob die Tierhaltung überhaupt noch gewünscht sei.
„Es braucht dringend neue Perspektiven für die Tierhaltung durch eine neue Bundesregierung“, sagte die Ministerin. Insgesamt ging die Zahl der Bauernhöfe von 2021 auf 2023 um 2271 auf jetzt 100 735 Betriebe zurück. Das ist ein Minus von 2,2 Prozent. Die Entwicklung sei so besorgniserregend, weil zwei Drittel der Umsatzerlöse bayerischer Betriebe von der Nutztierhaltung stammten. Gerade die mittelgroßen bäuerlichen Familienbetriebe im Haupterwerb seien davon betroffen. So sank laut Agrarbericht die Zahl der Höfe zwischen 20 und 50 Hektar Nutzfläche überproportional um über 4,3 Prozent (von 23 769 auf 22 730). Gestiegen ist indes die Zahl der Höfe über 100 Hektar – von 5631 auf 5794.
„Was wäre Bayern ohne Nutztierhaltung“, gab Michaela Kaniber zu bedenken. Ohne Tierhaltung müssten die bayerischen Betriebe 3,1 Millionen Hektar Weizen zusätzlich anbauen, um das Niveau des Umsatzerlöses auf dem gleichen Stand halten zu können. „Das ist mehr als die gesamte landwirtschaftliche Nutzfläche in Bayern.“ Das Grünland – eine Million Hektar, für die allenfalls in der Biogasanlage Verwendung habe – könne nicht mehr gepflegt werden. Heute könnten über den Magen der Wiederkäuer über fünf Milliarden Kilogramm Milch erzeugt werden. Das habe Auswirkungen auf die Biodiversität, den Humusaufbau, die Kulturlandschaft und auch den Tourismus. Es müssten tausende Tonnen Fleisch, Milch, Eier aus anderen Ländern importiert werden, „weil die Menschen nach wie vor tierische Produkte nachfragen würden“. Aber man hätte dann nicht mehr in der Hand, nach welchen Standards produziert werde.
Die deutschen Landwirte machen inzwischen nur noch 1,5 Prozent der Bevölkerung aus, ernährten aber 84 Millionen Menschen. „Sie sind unsere größte Lebensversicherung“, sagte Kaniber. Bei den Ökobetrieben ist das Einkommen weniger stark gestiegen: Sie erwirtschaften rund 10 Prozent Gewinn pro Hektar weniger – weil die Verbraucher seit Corona weniger Öko kaufen. Mehr staatliche Hilfe ist aber nicht vorstellbar: „Der Anteil der Beihilfe beträgt bereits 64 Prozent“, erklärte sie und appellierte an die Verbraucher, die „Marke Bayern“ zu stärken.
Mia Goller (Grüne) sagte, die CSU lasse die kleinstrukturierte Landwirtschaft sterben. Es fehlten Instrumente, um die Zukunft der kleinen Höfe „wirklich zu sichern“. So werde nicht genug gegen steigende Pachtpreise getan. Den Stopp für das Kulap-Förderprogramm zum Humuserhalt nannte sie „beschämend“. Die betroffenen Betriebe müssten entschädigt werden.
CLAUDIA MÖLLERS