Eine Stadt ohne Kinderarzt

von Redaktion

Abschied für immer: Olaf Vorbeck hat am Freitag seine Kinderarzt-Praxis in Moosburg zugesperrt. Einen Nachfolger hat er nicht gefunden. © privat

Moosburg – An kreativen Ideen mangelt es Olaf Vorbeck nicht. Er hat alles versucht. Knapp 60 Videos hat er seit Mai auf der Instragram-Seite seiner Moosburger Kinderarztpraxis hochgeladen. Jedes mit einer anderen witzigen Idee, die Lust darauf machen sollte, die Praxis zu übernehmen. Denn Vorbeck geht nach knapp 19 Jahren in den Ruhestand. Er ist der einzige Kinderarzt, den es in der 20 000-Einwohner-Stadt Moosburg (Kreis Freising) gibt. Das Marketing der Stadt hat parallel dazu eine Medienkampagne gestartet. Doch alle Bemühungen waren vergebens. Niemand will die Praxis übernehmen. Am Freitag war Vorbecks letzter Arbeitstag.

Für seine 5000 kleinen Patienten bedeutet das, dass sie es künftig sehr schwer haben werden. Die nächsten Kinderarztpraxen sind in Erding, Freising und Landshut – alles sehr weite Fahrstrecken. Das größere Problem ist aber, dass die anderen Praxen alle am Limit arbeiten und kaum noch neue Patienten aufnehmen können.

So ganz kann Vorbeck nicht verstehen, warum es so schwer ist, einen Nachfolger zu finden. „Kinderarzt ist ein toller Beruf“, betont er immer wieder. Besonders, wenn man eine eigene Praxis habe und sein eigener Chef sein könne. „Sie entscheiden, wie Ihre Arbeitszeiten sind und wann Sie Urlaub machen, keine Nachtdienste, dafür aber ein schon vorhandener Patientenstamm“, zählt er in einem seiner Videos auf. Doch es hat nichts gebracht. Sein Abschied gestern wurde etwas trauriger, als so ein Abschied sowieso schon ist.

Dominik Ewald hat Vorbecks Kampf um einen Nachfolger verfolgt. Er ist Kinderarzt in Regensburg und gleichzeitig Vorsitzender des Landesverbands der Kinder- und Jugendärzte. Er weiß, dass Moosburg kein Einzelfall ist. 26,8 Prozent der bayerischen Kinderärzte sind bereits über 60 – das bedeutet, dass das Problem in den kommenden Jahren noch größer werden wird. Das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung hat berechnet, dass durch den demografischen Wandel bis 2040 ein Viertel der ambulanten Versorgung in allen Fachgebieten wegbrechen wird.

Ein Problem sei, dass es zu wenig Weiterbildungsstellen gibt, erklärt Ewald. Nach dem sechsjährigen Studium müssen angehende Ärzte fünf Jahre lang die Weiterbildung zum Facharzt machen. „Die Strukturen müssten flexibler werden“, fordert er. In den Praxen müsste mehr als eine Weiterbildungsstelle möglich sein. Schon deshalb, weil junge Mütter die Weiterbildung oft in Teilzeit und dafür in zehn Jahren machen würden. „Alle niedergelassenen Kinderärzte müssen mit ausbilden – und auch die Kliniken“, betont Ewald. Stellen würden aber oft nicht geschaffen, weil das Geld fehlt. Im Gegensatz zum Allgemeinarzt-Bereich wird die Weiterbildung im fachärztlichen Bereich nur zum Teil finanziell gefördert.

Auch Ewald wird in den nächsten zehn Jahren in Rente gehen. Er bildet in seiner Praxis Fachkräfte aus und hofft, dass er unter ihnen einen Nachfolger finden wird. Aber er hat schon einige Gespräche mit jungen Ärzten geführt, die ihm sagten, dass sie angestellt bleiben und nicht die Praxis führen wollen. Ein Grund dafür ist der hohe bürokratische Aufwand, ist Ewald überzeugt. „Das schreckt viele ab.“ Er hofft, dass Künstliche Intelligenz den Ärzten in dieser Hinsicht mehr abnehmen wird.

Aber auch von politischer Seite hofft er auf mehr Unterstützung. Zum Beispiel bei den Abrechnungen. „Wenn wir mit Eltern ein halbstündiges Impfgespräch führen und sie sich dann gegen die Impfung entscheiden, können wir nichts abrechnen“, erklärt er. Vor allem aber bräuchte es eine vorausschauendere Planung und Koordination. Immer wieder melden sich Landkreise bei ihm und wollen wissen, was sie tun können, wenn sich für den Kinderarzt kein Nachfolger findet. Meist sei dann der Zeitdruck schon groß. „In der ganzen Region zwischen Regensburg bis Landshut und Straubing bis Bad Abbach gibt es jetzt schon nur 1,5 Kinderarzt-Stellen“, sagt Dominik Ewald. „Die Hausärzte können die Versorgung der Kinder nicht übernehmen.“ Auch von ihnen würden viele schon am Limit arbeiten.

In Berlin kämpfen Klaus Holetschek, der Vorsitzende der CSU-Fraktion im Landtag, und der Hausärztinnen- und Hausärzteverband aktuell für eine Stärkung der Versorgung. Der Bundestag müsse spätestens zu Beginn der kommenden Legislaturperiode Maßnahmen beschließen, um die hausärztliche Versorgung zu sichern. Dazu gehöre zum Beispiel eine Endbudgetisierung, die dafür sorgen würde, dass die Ärzte für alle Leistungen, die sie erbringen, bezahlt werden. Also zum Beispiel auch für Impfgespräche. Markus Beier, der Bundesvorsitzende des Hausärzteverbands, betont: „Wenn nicht schnellstmöglich gegengesteuert wird, wird das Praxissterben ungehemmt weitergehen. Mit katastrophalen Folgen.“

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