Die SS-Mörder auf der Anklagebank

von Redaktion

Ausstellung widmet sich den lange vergessenen Dachauer Prozessen 1945 bis 1948

Szene eines Prozesstages: Der ehemalige KZ-Häftling Michael Pellis identifiziert den SS-Mann Friedrich Wilhelm Ruppert, der später hingerichtet wurde. © USHMM

Dachau – Anders als die Nürnberger Prozesse gegen die 24 Hauptkriegsverbrecher der Nazi-Diktatur, etwa Göring, Heß oder Speer, sind die Dachauer Prozesse kaum bekannt. Zwischen November 1945 und 1948 gab es auf dem Gelände des soeben erst befreiten KZ Dachau, später auch an einigen anderen Orten, insgesamt 461 Verfahren gegen 1912 Angeklagte. Vom Kommandanten bis zum Hilfswachmann kam hier die ganze Hierarchie der Konzentrationslager-SS vor US-Militärgerichte.

Dieser frühen und rigorosen Ahndung von NS-Verbrechen widmet sich seit fast zwei Jahren schon eine Sonderausstellung in der KZ-Gedenkstätte, die eigentlich Ende des Jahres auslaufen sollte, nun aber wohl bis 2026 verlängert wird. Jetzt ist – endlich, muss man sagen – ein sehr informativer und mit vielen Fotos illustrierter Katalog zu dieser teils erschütternden Ausstellung erschienen.

Nicht nur Verbrechen im KZ Dachau wurden von den US-Militärgerichten abgeurteilt, sondern auch Verbrechen in anderen ehemaligen Lagern: Flossenbürg, Mauthausen, Buchenwald, Mittelbau-Dora und der Dachauer Außenlagerkomplex Mühldorf – der KZ-Kommandant dort, Martin Gottfried Weiß, war überhaupt der erste Angeklagte dieser Prozessserie. Außerdem gab es – von der US-Armee mit höchster Priorität verfolgt – Prozesse wegen der Erschießung von abgestürzten US-Fliegern mit allein 646 Angeklagten sowie Verfahren wegen der Morde im belgischen Malmedy, wo Mitglieder der Waffen-SS im Zuge der Ardennen-Offensive Ende 1944 US-Kriegsgefangene erschossen hatten. Wer ein Kompendium aller Verbrechen sucht, die die Nazis auf dem Gebiet des ehemaligen Großdeutschlands verübten, der findet dies durch die Beschäftigung mit den Dachauer Prozessen. Ebenso bedeutsam aber ist natürlich, was nicht in den Blick geriet, vielleicht aufgrund der Nicht-Zuständigkeit sowie teilweise des noch geringen Wissensstands der US-Ankläger nicht in den Blick geraten konnte: die NS-Verbrechen weit im Osten, also die Massen-Vergasung von Juden in den Lagern wie Sobibor, Chelmo oder Belzec – und natürlich in Auschwitz.

Bei den Dachauer Prozessen ist die teils drakonische Bestrafung der NS-Täter mit zahlreichen Hinrichtungen auffällig. Zudem sticht heraus, dass für die Verurteilung kein Einzeltatnachweis nötig war – es genügte, Teil der Konzentrationslager-SS gewesen zu sein, um teils lange Haftstrafen zu erhalten. Erst später änderte sich dies: Deutsche Gerichte versuchten vor allem seit den 1970er-Jahren, SS-Mitgliedern persönlich Morde nachzuweisen, befragten dazu betagte KZ-Überlebende, deren Erinnerung nachgelassen hatte, die ihre Peiniger oft auch gar nicht namentlich gekannt hatten, so dass es zu oft skandalösen Freisprüchen kam.

Die Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau, Gabriele Hammermann, weist in ihrem Vorwort zum Katalog eher dezent noch auf eine ganz andere Peinlichkeit hin: Das ehemalige Prozessgebäude, in dem sogar noch eine große, mit Ölfarbe aufgetragene Wandkarte mit den NS-Lagern zu sehen ist, befindet sich heute auf dem Gelände der Bayerischen Bereitschaftspolizei. Jahrelange Bemühungen, die Gedenkstätte endlich um dieses und weitere Gebäude zu erweitern, sind bisher an einer lethargischen bayerischen Bauverwaltung gescheitert. Wann endlich ändert sich dies?
DIRK WALTER

Der Katalog

Dachauer Prozesse. Verbrechen, Verfahren und Verantwortung. Katalog zur Ausstellung, Metropol Verlag, 16 Euro

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