Eine historische Aufnahme des alten Postgebäudes in Bad Tölz. Der Abriss erfolgte im April dieses Jahres. © Archiv/cs
Die alte Schlosswirtschaft in Planegg. Im März dieses Jahres rollten die Bagger an für den Abriss. © RUTT/WENZEL
Das Ende des Kühlturms: Nach der Sprengung im August stürzt das Bauwerk des stillgelegten Kernkraftwerks in Grafenrheinfeld zusammen. © Karl-josef Hildenbrand/dpa
München – Was hätte da alles seinen künftigen Platz finden können: eine Kletterhalle, eine Kneipe, ein Becken zum Tauchtraining, ein cooler Club. Doch die Kühltürme des stillgelegten Atomkraftwerks Grafenrheinfeld wurden im zu Ende gehenden Jahr gesprengt – zurück blieben Tonnen zertrümmerten Betons.
Wie die Kühltürme verschwinden alljährlich historische Gebäude, die Städte und Landschaften geprägt haben. Der Bayerische Landesverein für Heimatpflege lässt die Öffentlichkeit nun erneut über den bedauernswertesten Abriss des Jahres abstimmen.
Zur Wahl stehen zwölf Gebäude, die 2024 in Bayern abgerissen wurden – darunter eben die Kühltürme des stillgelegten Atomkraftwerks nahe dem unterfränkischen Schweinfurt. Die Abstimmung läuft vom 27. Dezember bis 9. Januar auf der Webseite des Vereins. Danach soll das Ergebnis verkündet werden.
„Wir haben in Bayern so viele geniale Architektinnen und Architekten. Sie hätten bestimmt tolle Ideen, wie man zum Beispiel prägende Teile des Atomkraftwerks Grafenrheinfeld neu, kreativ und sinnvoll nutzen kann und sie als Industriedenkmal und als geschichtliches Zeugnis eines vergehenden Energiezeitalters erhalten werden können“, sagt Landesvereins-Geschäftsführer Rudolf Neumaier. „Allein für Kultur und Sport böten sich viele Möglichkeiten, man denke an Kletterhallen oder Clubs.“ Den Heimatpflegern gehe es darum, jeden Abriss zunächst infrage zu stellen und Vorhandenes sinnvoll zu nutzen.
Neben Grafenrheinfeld stehen aus Sicht des Vereins weitere Abrisse stellvertretend für den Umgang mit bayerischer Baukultur. In Planegg im Kreis München etwa fiel mit der Alten Schlosswirtschaft ein historisches Gebäude aus dem 16./17. Jahrhundert – nach jahrzehntelangem Verfall und behördlichen Streitigkeiten. Die Sanierung galt als wirtschaftlich unzumutbar, trotz Fördermitteln und Einwänden von Denkmalpflege und Bürgerinitiativen, heißt es beim Landesverein. „Ein trauriges Muster-Beispiel für schmählichen Umgang mit einem Gebäude, das nicht nur das Ortsbild geprägt hat, sondern als Wirtshaus und somit als Zentrum sozialer Begegnung auch den Ort selbst“, kommentiert Neumaier.
Irritiert zeigte sich das Landesamt für Denkmalpflege nach dem Abriss des 1929 erbauten Postgebäudes in Bad Tölz im Frühling dieses Jahres. Wenige Jahre vor dem 100. Geburtstag des Gebäudes war plötzlich Schluss. „Der Eigentümer hatte einen geplanten zweiten Termin zur Prüfung auf Denkmalwürdigkeit durch einen schnellen Abriss vorweggenommen“, heißt es beim Landesverein. Auf dem Areal soll nun ein ganz neues Quartier entstehen mit Wohn- und Gewerbeflächen.
Auch die Wagnergasse in Landshut verlor mit einem jahrhundertealten Handwerkerhaus mit Renaissancegiebel ein bedeutendes Stück ihres baulichen Erbes. „Abriss ist immer die fantasieloseste Lösung. Und es ist pure Energieverschwendung, nämlich die Vernichtung von grauer Energie“, sagt Neumaier. Außerdem gehe Baukultur verloren, die „das Gesicht unserer Orte und unseres Landes ausmachen“.
Der Bürgermeister von Grafenrheinfeld, Christian Keller (CSU), geboren 1979, kannte die Gemeinde gar nicht ohne die markanten Kühltürme des Atomkraftwerks – wie viele andere auch. Er sagte im Sommer zum Abriss: „Die Zwillinge waren für mich und sicherlich auch für viele Menschen aus der Region immer auch ein optischer Ankerpunkt.“
Für die Sprengung der rund 34 000 Tonnen Stahlbeton, Metalle und Kunststoffe waren 1340 elektronische Zünder und 260 Kilogramm Sprengstoff nötig. Es entstanden etwa 55 000 Tonnen Bauschutt, hauptsächlich Beton. Dieser soll nun weiter verwertet werden. Der Rückbau des AKW soll bis 2040 dauern. Dann soll vom Standort nichts mehr zu sehen sein.
Die Aktion „Abriss des Jahres“ hatte der Landesverein 2022 ins Leben gerufen. Damals gewann die Radrennbahn in Nürnberg den Negativpreis, im vergangenen Jahr war es ein Fachwerkhaus in Bayreuth-Rödensdorf. „Politologen halten es für die derzeit wichtigste Aufgabe der Politik, bei den Menschen Heimatgefühle zu erzeugen“, sagt Neumaier. „Welche Rolle die Baukultur dabei spielt, unterschätzen viele Politiker gerade auf kommunaler Ebene.“