Mit DNA-Spuren auf Mörderjagd

von Redaktion

Viele „Cold Cases“ sind bis heute ungeklärt – Ermittler wünschen sich mehr Möglichkeiten

Früher verschrien, heute gerne genutzt: die Öffentlichkeitsfahndung – hier im Fall des 1990 getöteten Klaus Berninger in Wörth am Main. © Polizei Unterfranken/dpa

München – Klaus Berninger ist 16 Jahre alt, als er in einem Wald an der Landesgrenze zwischen Hessen und Bayern getötet wird. Das ist jetzt 34 Jahre her. Doch der Täter ist nach wie vor nicht überführt. Die Polizei hat zwar einen Verdächtigen, aber keine handfesten Beweise gegen ihn, auch weil mögliche Mitwisser mauern.

In anderen Altfällen – sogenannten Cold Cases – können die Beamten Mörder mittlerweile auch viele Jahre nach der Tat überführen, wenn die damaligen Ermittler Beweismaterial gesichert haben und sich daran heute etwa aussagekräftige DNA-Spuren finden – und man Vergleichsmaterial hat. Doch die Polizei wäre vielleicht noch erfolgreicher, wenn sie alle Möglichkeiten beispielsweise von Künstlicher Intelligenz (KI) oder der modernen DNA-Analyse nutzen könnte.

Lange durfte in Deutschland von DNA-Spuren nur das Geschlecht bestimmt werden, aber nicht äußere Merkmale wie Augen-, Haut- und Haarfarbe und das Alter. Seit Ende 2019 ist die sogenannte Phänotypisierung nun erlaubt – ein Täterprofil aus dem DNA-Labor quasi. Doch die Phänotypisierung gibt lediglich eine Wahrscheinlichkeit für ein bestimmtes Aussehen an, beweissicher ist sie nicht.

Sebastian Grün arbeitet beim Bayerischen Landeskriminalamt in München. Um die zehn Cold Cases liegen derzeit auf dem Tisch des DNA-Analytikers. Der Biologe untersucht im Auftrag der jeweiligen Ermittler nahezu täglich DNA-Spuren und nimmt bei Bedarf Phänotypisierungen vor, doch er sieht noch mehr Möglichkeiten. „Wenn wir eine unbekannte Spur haben, die wir keiner Person zuordnen können, dann könnte die Kenntnis der biogeografischen Herkunft der Polizei dabei helfen, in eine bestimmte Richtung zu ermitteln oder eben auch nicht“, erklärt Grün. Bislang dürfen der Biologe und seine Kollegen keine Daten zur biogeografischen Herkunft – also zu der Region, aus der die Vorfahren eines unbekannten Spurenverursachers stammen – gewinnen.

Dabei gebe es gute Gründe dafür: „Wenn man die Werte der biogeografischen Herkunft kennt, dann kann man diese Phänotypisierungswerte noch ein bisschen präzisieren“, sagt Grün. In anderen Ländern sei dieses Ermittlungstool erlaubt.

Etwa 3000 ungelöste Kapitalverbrechen gibt es in Deutschland. Neben DNA-Experten oder Archäologen setzen Altfall-Ermittler mittlerweile auch verstärkt auf die Öffentlichkeitsfahndung. Sie sei längst heraus aus ihrem Schattendasein, erzählt Jörg Langner, Erster Kriminalhauptkommissar im Bundeskriminalamt (BKA) in Wiesbaden. „Früher haben viele Ermittler gesagt: ,Wenn ich nicht mehr weiterweiß, dann gehe ich in die Öffentlichkeitsfahndung.‘ Das ist beileibe nicht mehr so.“ Gerade im Bereich Cold Cases könnten Ermittler über Medienpräsenz ältere Menschen erreichen, die zu einem lang zurückliegenden Verbrechen womöglich Hinweise hätten.

Seit dem Sommer nutzt das BKA bei Fahndungen auch den Messengerdienst WhatsApp, wo ein Großteil der Deutschen und damit zig Millionen Menschen erreicht werden können. Relativ neu sind Langner zufolge auch Fahndungen auf digitalen Werbeflächen etwa an Bahnhöfen. „Das macht sehr viel Druck auf den Täter und sein Umfeld.“

Beim Thema Öffentlichkeitsfahndung lohnt ein Blick in Nachbarländer: Stichwort Deepfakes. Das sind mithilfe von KI erstellte Videos und Bilder, die von Kriminellen für Erpressungs- und Betrugsdelikte genutzt werden. Deepfakes wirken authentisch, sind es aber nicht. Auch aus polizeilicher Sicht habe diese Technik Potenzial, sagt Langner und verweist auf ein Beispiel aus den Niederlanden. 2003 wurde in Rotterdam ein 13-Jähriger getötet. Weil die Ermittler in dem Fall jahrelang nicht weiterkamen, veröffentlichten sie 2022 ein bemerkenswertes Video: Darin sucht das Opfer scheinbar selbst seinen Mörder. Die Polizei setzte damals erstmals die Deepfake-Technik für einen Zeugenaufruf ein.

Auch wenn diese Methode bizarr anmutet: „Es ist wichtig, bei Öffentlichkeitsfahndungen eine gewisse Empathie zu erzeugen“, erklärt Langner. „Die Bevölkerung lässt sich von Gefühlen leiten. Und je mehr Empathie ich erzeugen kann, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein potenzieller Hinweisgeber meldet.“
ANGELIKA RESENHOEFT

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