Schindluder im Schutzraum

von Redaktion

Das futuristische Biwak an den Laliderer Wänden im Naturpark Karwendel ist nur für Notfälle da. © Getty

Warme Decken und nette Sitzecken: Zu gemütlich eingerichtete Winterräume wirken attraktiv auf große Gruppen und könnten zu Partys verlocken. Je zugänglicher die Berghütten sind, desto beliebter. © Herbig/DAV

München – Wie eine Mondkapsel sitzt das silberne Biwak an der Nordwand des Karwendel-Hauptkamms. Wer die kolossalen Laliderer Wände bestaunen will, wandert von der Eng im Rißtal hinauf zur Falkenhütte. Die ist sogar per Mountainbike erreichbar. Das achteckige Konrad-Schuster-Biwak aber nicht. „Da führt kein offizieller Weg hin“, sagt Sebastian Pilloni, Ranger im Naturpark Karwendel. „Wer dort campiert, hat sich das Ziel vorher ausgesucht.“ Eigentlich sollte dieses Biwak nur Kletterern in Not Schutz bieten, etwa wenn Gewitter aufziehen. Aber es lockt Wildcamper an, die das Abenteuer suchen und Müll und Fäkalien hinterlassen.

„Während der Pandemie war es besonders schlimm“, sagt Pilloni. Vergangenen Sommer haben die Ranger erneut Höchstzahlen an dreisten Übernachtungsgästen registriert. „Ein bekannter Youtuber mit fast drei Millionen Followern hatte dort übernachtet, ein Video online gestellt und könnte so viele Nachahmer angelockt haben.“ Ein Riesenproblem: Denn geplantes Biwakieren verstößt nicht nur gegen die Regeln im Naturpark. Wer zum Spaß in der Kapsel nächtigt, kann jemand anderem in Not den Platz wegnehmen. Besonders bitter: Eine mehrtägige Tour durch den Park ist laut Pilloni bequem machbar. „Es gibt viele Hütten, keiner muss grob fahrlässige Übernachtungsmöglichkeiten wählen.“

Der Österreichische Alpenverein warnt seit Jahren davor, sie für Partys zweckzuentfremden. Vor allem nach Sonnwend oder Silvester finden sich in den Not-Lagern oft große Mengen an Müll, leere Flaschen und teils sogar angezündetes Inventar. „Ein flächendeckendes Problem ist das Wildcampieren in Biwaken in Bayern nicht“, sagt DAV-Sprecher Franz Güntner. Vereinzelt würden aber immer mal Winterräume zweckentfremdet. Diese Schutzhütten sind die Mini-Version nicht-bewirtschafteter Selbstversorgerhütten. 120 davon gibt es, jede dritte AV-Hütte hat einen Winterraum.

„Winterräume oder -häuser sind offen, sobald die Hütte nebenan geschlossen hat“, sagt Güntner. Auch im Winterraum finden Wanderer im Notfall also Schutz – gegebenenfalls muss zusammengerückt werden. „First come, first serve“ gilt am Berg nicht. Denn im Gegensatz zum Biwak dürfen Winterräume für mehrtägige Touren als Übernachtungsmöglichkeit eingeplant werden. Hier gibt‘s Betten mit Decken, einen Ofen und meist sogar eine Toilette, allerdings können sie vorab nicht reserviert werden. Vor Ort gibt es entweder eine Kasse oder den Hinweis auf ein Konto, auf das ein kleines Übernachtungsentgelt überwiesen werden soll.

„Die meisten Winterräume werden von Ehrenamtlichen betreut“, sagt Franz Güntner. „Oberstes Gebot: Alles so hinterlassen, wie man es selbst vorfinden will. Das fängt beim sparsamen Umgang mit Brennholz an und endet bei Entsorgung des Mülls.“ Im Hochwinter kann es passieren, dass die Hütte eingeschneit ist – dann heißt es freischaufeln und kontrollieren, ob der Kaminabzug frei ist. Weil eben kein Hüttenwart vor Ort ist, sollte man der zuständigen Sektion Mängel melden. „Wenn etwa Brennholz oder Einstreu für die Toilette zur Neige gehen oder auch, wenn Töpfe geklaut worden sind.“

Vandalismus ist in Winterräumen keine Seltenheit. Auch die Zeche wird oft geprellt. Einige Sektionen zogen zuletzt die Reißleine: Der Winterraum der Mindelheimer Hütte in Oberstdorf zum Beispiel ist so oft missbraucht worden, dass Wanderern nun nur mehr ein einzelner, unbeheizbarer Raum zur Verfügung steht. „Oft ist es der letzte Ausweg, den Schutzraum möglichst unattraktiv zu gestalten, um ihn zu erhalten“, sagt Güntner. Andere Winterhäuser – zum Beispiel an der Gaudeamus-Hütte am Wilden Kaiser oder auch das Kärlinger Haus der Sektion Berchtesgaden – sind mit einem Sonderschloss versperrt. Der Schlüssel kann vor Antritt der Tour bei der Sektion abgeholt werden.

Auch die Ranger im Naturpark Karwendel mussten reagieren: Seit fast zwei Jahren kontrolliert ein Messgerät in einem 20-Meter-Radius um das Laliderer-Biwak, ob sich dort Handys und Bluetooth-Geräte befinden. „Fängt das Gerät nachts Signale ein, wissen wir, dass dort jemand übernachtet haben muss“, sagt Pilloni. „Kletterer tun das selten.“ Werden Wildcamper erwischt, können in Österreich Strafen in Höhe von hunderten Euro fällig werden.

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