Voller Lebensfreude und Power: Ursula Anjou (82) kümmert sich in Rottach-Egern im Mehrgenerationenhaus der Caritas um einsame Rentner. © Thomas Plettenberg
Tegernsee – Wenn die Sonne über dem Tegernsee glitzert, die Berge ihre bezuckerten Spitzen in den weißblauen Himmel recken, dann kann man sich schon wie im Paradies fühlen. Hier zu leben ist der Traum vieler Menschen. Gerade im Ruhestand.
Doch wer sich im Rentenalter am Tegernsee ansiedelt, der kann sich mitunter schwertun, unter den Einheimischen Fuß zu fassen. Ursula Anjou (82) weiß von den Hürden, vor denen manche Zugezogene stehen. Sie selber ist mit ihrem schwedischen Mann vor 20 Jahren nach Rottach-Egern gezogen. Heute hilft sie Altersgenossen, die sich im Paradies einsam fühlen. Die gebürtige Fränkin ist aktiv im Mehrgenerationenhaus der Caritas in Rottach-Egern (Kreis Miesbach). Jeden zweiten Freitag organisiert sie im Wechsel mit anderen Ehrenamtlichen den Brunch, der wöchentlich als Kontakt- und Gesprächsbörse angeboten wird.
„Es ist nicht unbedingt einfach, Anschluss zu den Einheimischen zu bekommen. Man muss schon selber etwas dafür tun“, weiß die agile Rentnerin. In Vereine gehen, ist so der übliche Tipp. Für Ursula Anjou und ihren Mann aber war das nie ein Thema. 2005 sind sie nach Rottach-Egern gezogen. Fremd war ihr die Gemeinde nicht: Ihre Großeltern hatten hier gelebt, später hatte ihre Mutter das Haus übernommen. Die gelernte Erzieherin und Ergotherapeutin Anjou suchte sich im Ruhestand eine Aufgabe. Seit 2007 engagiert sie sich in der katholischen Kirchengemeinde, sitzt im Pfarrgemeinderat, ist Lektorin und Kommunionhelferin – und macht mit im Caritas-Mehrgenerationenhaus. „Es macht mir Spaß, neue Menschen kennenzulernen.“
Eine Statistik, wie viele Menschen im Rentenalter jährlich nach Rottach-Egern ziehen, hat Kämmerer Martin Butz nicht. Es gibt viele Zweitwohnungen, aber von dieser Zahl kann man nicht ableiten, dass dort Menschen ihren Lebensabend verbringen. Trotzdem weiß man in der Gemeinde natürlich, dass es ältere Bürger gibt, die über Einsamkeit klagen. „Wir sind froh, dass es das Mehrgenerationenhaus gibt, und das unterstützen wir auch.“
Angeboten wird von montags bis freitags jede Menge. Mit 25 Ehrenamtlichen und vier hauptamtlichen Kräften wird zu Offenen Treffs, hin und wieder zum Mittagstisch, Computerkursen für Senioren, Gedächtnis-Training, Gesprächskreisen, Schachstunden oder Rückengymnastik eingeladen. An jedem Wochentag kann ein Senior im Begegnungszentrum Ansprache finden. Drei, vier ältere Menschen kamen zum Start des Brunch-Angebots 2007 – inzwischen sind um die 15. Alte Menschen, die allein stehen, deren Kinder weit entfernt wohnen und die vor allem nicht vernetzt sind. „Netzwerken“ ist auch für Ursula Anjou das Zauberwort. Dafür brauche es Eigeninitiative. „Man muss sich schon auch anstrengen, auf die Menschen zuzugehen.“ Gefördert wird das Mehrgenerationenhaus vom Bundesfamilienministerium, vom Bezirk und den Kommunen. In jedem Landkreis in Deutschland gibt es ein Mehrgenerationenhaus. „Es ist so schön, nicht alleine frühstücken zu müssen.“ Diesen Satz hört Anjou oft von den Brunch-Gästen. „Das ist doch toll, da hat man schon was erreicht“, freut sie sich. Nach dem Brunch gibt es häufiger noch eine Gesprächsrunde über aktuelle Themen, zu den anstehenden Festen, über ein Gedicht, über ihren ersten Schultag. „Ich red‘ so wenig wie möglich – sie sollen erzählen.“ Das kommt gut an.
Was sollte man keinesfalls machen, wenn man sich hier am Tegernsee nach der Rente niederlassen will? „Sich hier in die politischen Verhältnisse einmischen“, sagt Ursula Anjou und lacht. Sie erinnert sich an einen „Zugezogenen“, der nicht verstehen wollte, warum die vier Gemeinden am Tegernsee nicht einen gemeinsamen Bürgermeister haben. „Au weia“, da sei es aber losgegangen. Unbeliebt mache man sich auch mit Klagen gegen Kirchen- oder Kuhglocken. Oder wenn man versuche, Bairisch zu reden. „Man hört es doch, meistens ist das peinlich.“
CLAUDIA MÖLLERS