Titelblatt „Die Mundarten Bayerns“ von 1821. © wikipedia
Johann Andreas Schmeller auf einem Bild von Joseph Bernhardt, 1849. © BSB/Bavarikon.de
Tirschenreuth – Er ist ein Bairisch-Sprachpapst: Johann Andreas Schmeller (1785-1852) verfasste mit staunenswerter Akribie das erste, vierbändige und bis heute unerreichte Bairisch-Wörterbuch. Der pensionierte Deutsch- und Geschichte-Gymnasiallehrer Werner Winkler aus Tirschenreuth, ein ausgewiesener Schmeller-Kenner, hat nun die erste umfassende Biografie vorgelegt (Johann Andreas Schmeller – Heimat finden in der Sprache, Pustet Verlag, 39 Euro). Ein Gespräch.
Schmeller war ein Sprachgenie. Wie kam es, dass er sich ausgerechnet dem Bairischen zuwandte?
Schmeller ist bereits als kleines Kind dem Ortspfarrer aufgefallen, weil er sich das Latein der sonntäglichen Messe so gut merken konnte. Während seiner Schülerzeit in Scheyern, Ingolstadt und München fiel seine außerordentliche Sprachbegabung auf. Als Erwachsener beherrschte er über zwei Dutzend Sprachen, die er sich selbst angeeignet hatte. Wörterbücher lernte er in wenigen Tagen auswendig, um nicht nachschlagen zu müssen.
Und warum Bairisch?
Den bairischen Mundarten galt seine Aufmerksamkeit, weil sie von den niederen sozialen Schichten gesprochen wurden. Ihnen fühlte er sich verbunden, weil er selbst aus armen Verhältnissen stammte.
War Bairisch für ihn eine Sprache oder ein Dialekt?
Die Mundart sah er als Sprache, ganz klar. Er meinte, dass es nur eine schriftliche Aufzeichnung der bislang mündlich verwendeten Dialektwörter und ebenso der sie bestimmenden Ordnungen, also ihrer Grammatik, für den Nachweis einer Sprache brauche. So veröffentlichte er als erstes großes Werk 1821 seine Mundart-Grammatik, dem dann sein „Bayerisches Wörterbuch“ 1827 bis 1837 folgte.
War ihm bewusst, wie variantenreich Bairisch ist, erfasste er auch fränkische und schwäbische Eigenheiten?
Er hatte zunächst das Altbairische und Oberpfälzische im Blick. Dann erschien 1819 Jacob Grimms „Deutsche Grammatik Erster Teil“. Das hat ihn schwer beschäftigt, weil Grimm den gesamten deutschen Sprachraum behandelte. Daraufhin weitete Schmeller seine Untersuchungen auf den ganzen bairischen Sprachraum aus.
Wenig bekannt ist, dass Schmeller Vorläufer hatte, schon im 17. Jahrhundert erschienen erste Mundart-Wörterbücher. Was war das Neue bei Schmeller?
Es gab vor ihm schon kleine Versuche, Dialektwörter zu sammeln, beispielsweise von dem Regensburger Kommunalpolitiker Johann Ludwig Prasch. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern, deren Wörtersammlungen sich auf wenige Seiten beschränkten, waren das Besondere bei Schmeller sein systematisches und akribisches Vorgehen und seine soziale Motivation.
Wie ging Schmeller bei der Erforschung des Bairischen vor?
Den damaligen Bibliothekar der Staatsbibliothek, Scherer, hatten Schmellers bisherige Spracharbeiten mächtig beeindruckt. Er forderte ihn nachdrücklich auf, ein bairisches „Idiotikon“, also ein Dialektwörterbuch, zu verfassen. 1816 ging es los. Schmeller suchte sich strategisch gezielt Interviewpartner, verfasste öffentliche Aufrufe und sprach mit Bauern, Landpfarrern und Gastwirten, die er nach Begriffen ihrer Lebensumwelt befragte, also ganz schlicht: Wie nennst du diesen Gegenstand, diese Tätigkeit? So durchstreifte er beispielsweise die Schongauer Gegend, Traunstein, Reichenhall, Rosenheim, aber auch Kempten, Schlehdorf und den Norden Bayerns. Zudem wertete er alte Handschriften der Staatsbibliothek aus und wandte sich an bestimmte Berufsgruppen.
Sein Leben fiel in eine Übergangszeit, von der Französischen Revolution, der Ära Napoleons mit der Gründung des bayerischen Königreichs, der Zeit von Montgelas und der Restauration. Wo stand Schmeller?
Er war im Herzen ein liberal gesinnter Republikaner, der jeglichen Radikalismus strikt ablehnte, und der, ganz wie die Studenten und das Bürgertum der 1830er/40er-Jahre, den kleinstaatlichen Partikularismus zugunsten eines geeinten Deutschlands überwinden wollte. Das Scheitern der Revolution von 1848/49 belastete ihn stark. König Ludwig I. hielt er für einen fähigen Herrscher, bis ihn die Affäre um Lola Montez so schwer verstörte, dass er von „finis Bavariae“, sprach.
Sie beschreiben Schmeller als introvertiert, sich stets zurücknehmend, lieber ein Buch lesend, als mit Menschen redend. Ein verkanntes Genie?
So würde ich das sehen. Er war ein Grenzgänger. Einerseits zog er sich zurück, suchte heimatliche Vertrautheit, andererseits kennen wir ihn als rastlosen Arbeiter, stets ins Neue, Fremde aufbrechend und dieses genial erfassend und gestaltend.
„Der Schmeller“ ist ein Begriff bis heute. Ist dies noch up to date?
Absolut. Es ist ja ein neues bairisches Wörterbuch im Entstehen. Aber bis zu dessen Fertigstellung gehen noch Jahre ins Land. Bis dahin gilt: Es gibt nichts Besseres.