„Die Bahn hat uns ausgesetzt“

von Redaktion

Reisende stranden mitten in der Nacht an Bahnhöfen. Hilfe gibt es nicht

Ein Zug der Länderbahn Alex strandete nachts. © Blank

München – Norbert Wassermann ist viel und oft mit der S-Bahn unterwegs. „Aber so etwas“, erzählt er, das habe er noch nie erlebt. Es ist der vergangene Freitag, als der Elektroingenieur am Ostbahnhof in die S1 nach Freising steigt. Gegen 22 Uhr bremst der Zug plötzlich ab und bleibt im Tunnel zwischen den Haltestellen Moosach und Fasanerie stehen. Nach einigen Minuten wird den mehr als 100 Fahrgästen vom Lokführer mitgeteilt, dass sich die Weiterfahrt wegen eines Notarzteinsatzes verzögern werde. Dann passiert lange nichts. „Es gab in den nächsten zwei Stunden keine weiteren Informationen“, erzählt der 58-Jährige. „Zwei Stunden, also bis Mitternacht, saßen wir in dieser S-Bahn fest und wussten nicht, wie es weitergeht.“

Norbert Wassermann ruft in diesen zwei Stunden bei der Bundespolizei an, erfährt aber auch nichts Näheres. Später stellt sich heraus, dass es mit der S-Bahn einen Unfall mit Personenschaden gab. Schließlich fährt die Bahn weiter, aber nur bis zum Bahnhof Fasanerie. Die Fahrgäste müssen aussteigen. Und ob Schienenersatzverkehr besteht, wisse er nicht, erklärt der Lokführer. Norbert Wassermann und alle anderen Passagiere, darunter einige Jugendliche, sitzen fest. Die Strecke ist nach wie vor gesperrt, und auch am Bahnhof ist niemand, der sich um die Fahrgäste kümmert. Genau das ist es, was den Ingenieur wütend macht. „Für den Unfall kann niemand etwas, aber dass es die Bahn nicht schafft, in den zwei Stunden, die die S-Bahn im Tunnel stand, einen Ersatzverkehr zu organisieren, das ist ein Armutszeugnis.“

Ebenfalls auf dieser Strecke ist an diesem Freitag auch Angelika Eberhöfer unterwegs. Die Buchhändlerin will um 23 Uhr vom Münchner Hauptbahnhof aus mit dem Zug, genauer gesagt dem Alex, nach Moosburg fahren. Dass es auf der Strecke einen Unfall gab, erfahren die Fahrgäste nicht. In der Durchsage des Zugpersonals ist nur von einem Polizeieinsatz die Rede. Kurz nach der Abfahrt aus dem Hauptbahnhof bemerkt die 62-Jährige, dass der Zug eine andere Strecke nimmt. „Ich dachte mir noch, dass der Zug vielleicht wegen Bauarbeiten umgeleitet wurde“, so die Moosburgerin – doch dann kommt die nächste Durchsage, und die hat es in sich. Die Zugreisenden erfahren, dass ihr Zug nicht nach Moosburg und Landshut fährt, sondern über Ingolstadt nach Regensburg umgeleitet wird. „Das war für mich ein richtiger Schock“, sagt Eberhöfer. Noch schlimmer sei gewesen, dass die Zugbegleiter sich nicht blicken ließen und sich auch nicht zuständig fühlten, den Reisenden in irgendeiner Weise behilflich zu sein.

Plötzlich aber und ohne Vorwarnung hält der Zug kurz vor Mitternacht in Petershausen an. Per Durchsage erfahren die Passagiere, dass sie hier den Zug verlassen und in gut 45 Minuten mit der S-Bahn nach München zurückfahren könnten. Mehr Unterstützung bekommen sie nicht. Etwa 40 von ihnen steigen dennoch aus, darunter auch Angelika Eberhöfer. „Da standen wir also mitten in der Nacht und bei klirrender Kälte auf dem Bahnsteig und sahen, wie der Zug weiterfuhr. Niemand von der Bahn war da, um uns zu unterstützen, und es gab auch keinen Schienenersatzverkehr. Wir wurden mitten in der Nacht ausgesetzt.“

Mit selbst organisierten Taxis gelingt dann die Weiterfahrt. Angelika Eberhöfer ist erst um halb zwei Uhr nachts erschöpft und durchgefroren zu Hause. Die Taxi-Rechnung beläuft sich auf 180 Euro. Dieses Geld will sie von der Länderbahn wieder. Eine Antwort hier steht aber noch aus. Eine Anfrage unserer Zeitung, warum den Reisenden nicht geholfen wurde, wurde bisher nicht beantwortet. „Man ist als Pendlerin ja einigen Kummer mit der Bahn gewohnt“, sagt die Buchhändlerin. „Aber das war eine neue Dimension des Versagens.“
BEATRICE OSSBERGER

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