Das große Festival-Sterben

von Redaktion

Viele Open Airs wurden abgesagt oder stehen auf der Kippe. Woran liegt‘s?

Das Uferlos war ein Festival für die ganze Familie. © Lorenz

Hoch die Hände, Open Air! Das Plus Open Air am Vöttinger Weiher hat tausende Fans angezogen. © PLUS Open Air

München – Nirgendwo fühlt man den Sommer so sehr, wie auf einem Musik-Festival. Es ist warm, die Sonne geht grad unter, man steht mit einem Bierbecher in der Hand dicht gedrängt zwischen gut gelaunten Menschen, singt, tanzt, auf der Bühne spielt die Band. Und selbst wenn es in Strömen schüttet und die Füße im Baaz versinken, ist es gut, vielleicht sogar noch besser.

Nur: Der Festival-Sommer wird heuer nicht so wundervoll werden wie die letzten Jahre. Die Szene steckt in einer Krise. Eine Veranstaltung nach der anderen wird abgesagt – die Gründe ähneln sich.

Gerade eben wurde in Freising das Aus des Uferlos-Festivals verkündet. 2008 hatte das Kulturevent zum ersten Mal stattgefunden. 2024 kamen rund 100 000 Gäste. Voodoo Jürgens, Die Sterne, Dreiviertelblut waren die respektablen Topacts, die meisten Konzerte kosteten nicht mal was. Doch das ist vorbei. Das Open Air kann in der Form nicht mehr weiter bestehen, teilte Veranstalter Vipo Maat (59) mit. Er klagt über Kosten für Personal und Infrastruktur, die nach Corona „horrend“ gestiegen seien. Er ist, so sagt er, nicht mehr in der Lage, das finanzielle Risiko für das Festival zu tragen. Zuletzt sei der Uferlos Kultur und Veranstaltungs gGmbH, die zum Festival 100 Mitarbeiter beschäftigt, ein Defizit in sechsstelliger Höhe entstanden. Die Stadt Freising prüft nun, ob sich das Festival, das für die ganze Familie gedacht ist, für 2026 irgendwie retten lässt. Oberbürgermeister Tobias Eschenbacher kann die schwierige Lage der Uferlos-Veranstalter nachvollziehen: „Rundherum werden Festivals abgesagt, die finanzielle Lage für Open-Air-Veranstaltungen ist enorm schwierig“, sagt er.

Das ist in der Tat so. Ebenfalls in Freising gab es das Plus Open Air am Vöttinger Weiher. 2024 kamen tausende Fans, nachdem das Festival einige Jahre pausiert hatte. Doch wegen einer Unwetterwarnung musste das Gelände geräumt und den Bands die Stecker gezogen werden. „Dadurch haben wir tausende Euro verloren“, sagt Plus-Vorsitzender Christian Richter. Es wurden auch nicht genügend Tickets verkauft, obwohl Werbung gemacht wurde „wie noch nie“. Und bei Ausgaben von 195 000 Euro waren 124 000 Euro Einnahmen einfach zu wenig. Eine Neuauflage hält Richter für ausgeschlossen.

Auch das Puls Open Air auf Schloss Kaltenberg, das es seit 2016 gibt und das der BR mit veranstaltet, ist für 2025 abgesagt. 2022 hatte es ziemlich Ärger gegeben, weil das Festival mangels Sicherheitskräften abgeblasen werden musste. 2024 kamen 8000 Besucher – zu wenig. Die Verantwortlichen sagen: „„Das Kaufverhalten ist dynamisch und weniger planbar, neue Festivals sind entstanden, und auch die Inflation hat sich auf dem Festivalmarkt bemerkbar gemacht.“ Soll heißen: Die Konkurrenz um Gäste ist gewaltig.

Das Phänomen kennt auch Tobias Schneider. Der 50-Jährige organisiert seit fast 20 Jahren den Dachauer Musiksommer. Die Konzertserie findet auch heuer statt, Publikumsmagneten sollen Christina Stürmer und die Mighty Oaks werden. Er kennt die Szene gut und sagt: „Es gab in den letzten zehn Jahren einen brutalen Trend hin zu Festivals.“ Das stellt die Veranstalter nicht nur vor das Problem, genug Gäste anzulocken, sondern auch reizvolle Künstler exklusiv zu verpflichten. 2024 kam dazu, so sieht es Schneider, dass in München viele Superstars Konzerte gaben – die Tickets waren zum Teil sehr teuer. Da überlege sich mancher Musikfreund, ob er auch noch Geld für ein Festival ausgeben will. Schneider sieht den Musiksommer in einer anderen Situation als mehrtägige Festivals, die eine aufwändigere Infrastruktur brauchen. Dennoch stellt auch er fest, dass die Gagen der Bands, die Kosten für Sicherheitsdienste und Personal stark gestiegen sind. Die technische Infrastruktur koste etwa 20 Prozent mehr als vor Corona. Der Musiksommer macht keinen Gewinn, die Stadt unterstützt die Veranstaltungsreihe mit einem Budget im Rahmen der Kulturförderung. Ist ein Festival auf Zuschüsse angewiesen, sieht es in Zeiten leerer öffentlicher Kassen oft schlecht aus.

In Erding wackelt gerade das Sinnflut-Festival, das es schon seit 30 Jahren gibt. Die privaten Organisatoren beklagen die Bürokratie und dass sie keine Kulturförderung von der Stadt bekommen. Die argumentiert, man habe die Platzmiete zuletzt erlassen und Toiletten sowie Parkplätze kostenlos zur Verfügung gestellt. Es hängt jetzt daran, ob die Veranstalter Nachfolger finden – sie selbst organisieren das Sinnflut nicht mehr. Ebenfalls auf der Kippe steht das Heimatsound in Oberammergau. Mitte Februar soll der Ticketverkauf starten. Die Bands stehen aber noch nicht fest.
CARINA ZIMNIOK

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