Bei einem Schleuserunfall auf der A94 kamen 2023 sieben Menschen ums Leben. © fib/Ess
München – Im Norden Münchens befindet sich eine kaum bekannte Polizeieinheit, die de facto die Kriminalpolizei der Bundespolizei in Bayern ist. Rund 150 Beamte der Bundespolizeiinspektion Kriminalitätsbekämpfung München klären die Hintergründe komplexerer Straftaten an Grenzen, Bahnhöfen, Bahnstrecken und Flughäfen auf. Ein Schwerpunkt: die Schleusungskriminalität. Wir sprachen mit Inspektionsleiter Henning Quantmeyer über das perfide System der Schleuser.
Herr Quantmeyer, wie kommen die Schleusungen zustande?
Meist vereinbaren die Interessenten bereits mit Schleusern in der Türkei die Details. Die Kunden der Schleuser hinterlegen in einem sogenannten Hawala-Büro einen Geldbetrag, der erst am Ziel der Schleusung oder der jeweiligen Etappe an die Schleuser ausgezahlt wird. Das Hawala-System ist ein traditionelles arabisches Geldtransfersystem, das auf Vertrauen basiert, keiner staatlichen Kontrolle unterliegt und hierzulande illegal ist. Die Geschäfte werden zum Teil in privaten Räumlichkeiten abgewickelt, jedoch auch oft in regulären Geschäftsräumen von Restaurants, Bäckereien oder Supermärkten. Für die Behörden sind die Geldströme sehr schwer kontrollierbar, da es kaum Aufzeichnungen gibt.
Was kostet eine Schleusung?
Für eine komplette Schleusung vom Heimatland nach Deutschland verlangen die Schleuserorganisationen in der Regel fünfstellige Beträge. Dies variiert je nach Qualität der Schleusung. Dabei spielen das Transportmittel, also ob Pkw, Kastenwagen, großer Lkw oder Flugzeug, und durchgehende oder nur teilweise Begleitung durch Mitglieder der Schleuserbanden eine Rolle. Der jeweilige Schleuserfahrer erhält, obwohl er das größte Risiko trägt, oft nur einen geringen dreistelligen Betrag pro beförderte Person.
Wer sind die Organisatoren der Schleusungen – und wie arbeiten sie?
Die Köpfe dieser Netzwerke sitzen meistens im europäischen Ausland, manchmal auch in Deutschland, aber sehr häufig in der Türkei und sind zumeist der Organisierten Kriminalität zuzuordnen. Dabei haben die meisten Banden erkannt, dass sich mit Schleusungen aktuell mehr Geld verdienen lässt als mit Drogen- oder Waffenhandel. Mit der Migrationswelle 2015 und 2016 hat sich auf den Flüchtlingsrouten eine Infrastruktur etabliert, die ein Spiegelbild des legalen Reisesektors ist. Ortsansässige Anbieter haben auf diesen Routen damals Unterkünfte, Verpflegung, Transport und Begleitung über die Grenzabschnitte sowie falsche Dokumente gegen Entgelt angeboten. Diese Strukturen wurden ausgebaut und werden nun durch die Schleuserorganisatoren genutzt, indem sie verschiedene Dienstleistungen outsourcen.
Wie läuft ein Transport dieser Anbieter ab?
Die Migranten werden zum Zielort transportiert. Um das Entdeckungsrisiko zu minimieren, werden sie teilweise angewiesen, neuralgische Punkte wie Grenzübergänge zu Fuß zu überqueren. Bei einem Aufgriff durch die Polizei werden die Geschleusten zum Teil in Aufnahme-Einrichtungen gebracht, wo sie teilweise von den Schleusern zum Weitertransport wieder aufgenommen werden.
Wer sind die Fahrer am Ende der Schleusung?
Die werden oft regional angeheuert und sind häufig mit Mietfahrzeugen unterwegs. Diese werden dabei auch mit gefälschten Papieren, manchmal von einer dritten Person oder von den Fahrern selbst, angemietet. Erfahrungsgemäß werden für die Schleusungsfahrten Fahrer eingesetzt, die wenig Hintergrundwissen über die Struktur der Schleuserorganisation besitzen. Dies minimiert im Falle einer Festnahme das Risiko, dass die Fahrer gegenüber der Polizei konkrete Aussagen über die Köpfe der Schleuserbanden machen.
Welche Auswirkungen hat der gestiegene Fahndungsdruck?
Durch die erhöhte Kontrolldichte steigt das Entdeckungsrisiko für die Fahrer. Um den Gewinn pro Fahrt zu vergrößern, werden oft mehr Personen als zulässig in den Fahrzeugen transportiert. Gleichzeitig ist festzustellen, dass die Fahrer versuchen, sich durch riskante Fahrweisen den Kontrollen zu entziehen. So erklären sich Verfolgungsfahrten wie im vorletzten Jahr auf der A94 bei Ampfing, bei der tragischerweise sieben Menschen ums Leben kamen. Außerdem werden sogenannte Scout-Fahrer eingesetzt, die vorausfahren und auskundschaften, ob auf der geplanten Strecke Polizeikontrollen stattfinden.
Wie kommen die Ermittler an die Auftraggeber?
Die Ermittlungen beginnen mit der Auswertung der Mobiltelefone der Fahrer und der Geschleusten. Oft werden Fotos an die Schleuserorganisatoren geschickt, um den Erfolg der Einschleusung zu dokumentieren und damit die Auszahlung des hinterlegten Schleuserlohnes zu veranlassen. In enger Zusammenarbeit mit ausländischen Sicherheitsbehörden werden umfangreiche polizeiliche Maßnahmen, wie zum Beispiel Telefonüberwachungen, durchgeführt.
Wie weit reicht der Zugriff in die Hierarchie der Schleusermafia?
Es gibt die sogenannten High-Value-Targets, also Schleuserorganisatoren der höheren und gehobenen Ebene, die wegen unserer sehr umfangreichen und akribischen Ermittlungen sowie der guten internationalen Zusammenarbeit immer häufiger festgenommen und ihrem Verfahren vor deutschen Gerichten zugeführt werden können.